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Der Newsroom der Washington Post in besseren Zeiten: 2018 bei der Feier eines Pulitzerpreises.

© picture alliance/AP Photo/Andrew Harnik

„Washington Post“ in der Krise: „Der ganze Newsroom ist in Aufruhr“

Sie gehört einem der reichsten Menschen der Welt. Aber auch die traditionsreiche Zeitung muss sparen – bei der Verkündung neuer Einschnitte bringt der Herausgeber die Belegschaft gegen sich auf.

Als Fred Ryan nach etwas mehr als einer Stunde die nachrichtliche Bombe gezündet hat, verlässt er die Bühne. Fragen will er am Mittwochmorgen keine beantworten. Die Live-Übertragung des „Washington Post“-Townhall-Meetings für die Mitarbeiter im Homeoffice bricht ab.

Wer daheim vor dem Bildschirm sitzt, kriegt nicht mehr mit, wie verblüffte Mitarbeiter aufspringen und den Herausgeber der stolzen Zeitung vergeblich aufzuhalten suchen. Später zirkulieren Handyvideos zu den tumultartigen Szenen im Netz.

Zu hören ist da: „Wir haben Fragen, die Sie beantworten müssen. Denn wir sind eine Nachrichtenorganisation, die der Transparenz verpflichtet ist.“ Und: „Sie können doch nicht einfach davonlaufen!“ Fred Ryan sagt noch kurz, mehr Informationen werde es im weiteren Prozess geben, dann ist er weg.

Das ist so kurz vor Weihnachten einfach nur kalt und respektlos.

Eine Mitarbeiterin der „Washington Post“

Wann welche Informationen verbreitet werden? „Keiner weiß es, und das ist so kurz vor Weihnachten einfach nur kalt und respektlos“, sagt eine langjährige Mitarbeiterin der Zeitung dem Tagesspiegel. „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Der gesamte Newsroom ist in Aufruhr.“

Weitreichende Kürzungen

Grund für den Aufruhr ist die überraschende Ankündigung des Herausgebers, dass im ersten Quartal 2023 weitere Jobs gekürzt werden. Im kommenden Jahr würde eine Reihe von Positionen wegfallen, die „nicht mehr länger den Ansprüchen der heutigen Leser und Konsumenten“ entsprächen, schreibt Ryan später am Tag in einer E-Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt.

250
Stellen könnten betroffen sein.

Es gehe um eine einstellige Prozentzahl an Mitarbeitern. Gleichzeitig würde in jenen Bereichen „aggressiv“ neu eingestellt werden, die Wachstumschancen böten. „Wir erwarten, dass unser Newsroom zu diesem Zeitpunkt im nächsten Jahr genauso groß ist wie jetzt – wenn nicht größer.“

Die Ankündigung bedeute nicht, „dass wir unseren Ehrgeiz herunterschrauben“. Jeder, der bei der „Post” arbeite, sei hier aus einem bestimmten Grund: um den „unerschrockenen, unabhängigen Journalismus“ zu gewährleisten, der die Grundlage für eine freie Gesellschaft sei. Große Worte, die für die Mitarbeiter nun hohl klingen.

Von den Kürzungen betroffen könnten bis zu 200 oder gar 250 Jobs sein, heißt es. Ein Teil der Stellen soll im Newsroom der „Washington Post” wegfallen. Insgesamt sind dort etwas mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt.

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Was die Belegschaft so aufregt, ist, dass die neue Chefredakteurin Sally Buzbee gerade erst die Einstellung des wöchentlichen Magazins der Zeitung verkündet hatte. Dadurch fallen elf Stellen weg. Was aus diesen Mitarbeitern wird, ist unklar.

„Unsere Chefredakteurin hat dem nur zugestimmt, weil es hieß, dass keine weiteren Personalkürzungen vorgenommen werden“, sagt die Mitarbeiterin. Erst einen Tag vor dem Town Hall, bei dem es um die inhaltliche Ausrichtung der Zeitung gehen sollte, sei die Chefredaktion über die weiteren Kürzungspläne informiert worden.

Zeitung mit globalem Anspruch

Im Nachhinein scheint nun klar, warum anders als bei früheren Mitarbeiterrunden Fragen im Vorfeld schriftlich eingereicht werden sollten – ein ungewöhnlicher Vorgang für die 1877 gegründete Zeitung, die mit dem bedeutungsschweren Satz „Democracy Dies in Darkness“ (Demokratie stirbt im Dunkeln) für sich wirbt und sich bei der furchtlosen Aufdeckung des „Watergate“-Skandals journalistischen Weltruhm verdient hat. 70 Pulitzer-Preise, darunter acht für Auslandsberichterstattung, stehen für das Renommee der Zeitung.

Amazon-Gründer Jeff Bezos kaufte die Zeitung 2013 für 250 Millionen Dollar.
Amazon-Gründer Jeff Bezos kaufte die Zeitung 2013 für 250 Millionen Dollar.

© AFP/Mandel Ngan

Die Ansprüche der Zeitung, die einer der reichsten Menschen der Welt, Amazon-Gründer Jeff Bezos, 2013 für 250 Millionen Dollar mit dem Versprechen gekauft hatte, ihr zu einer „neuen goldenen Ära zu verhelfen“, sind riesig. Sie soll nach dem Willen des Eigentümers wie die „New York Times“ nicht nur eine feste nationale Größe, sondern auch eine Zeitung mit einem globalen Anspruch sein.

Vor allem in der Amtszeit von Donald Trump entwickelte sie sich tatsächlich zu einem Pflichtblatt. Aber nach dessen Ausscheiden müht sich die „Post“, ihre derzeit noch drei Millionen zahlenden Abonnenten zu halten. Wie andere Medien leidet sie zudem unter dem Rückgang der Anzeigen.

Die Unsicherheit in der Belegschaft ist nun groß: Gerüchte machen die Runde, im Gespräch sei, feste Korrespondenten im Irak und in Israel durch freie Mitarbeiter vor Ort zu ersetzen. Auf Nachfrage erklärt die „Post”: Diese Szenarien seien „nicht akkurat“.

Immer wieder heißt es, dass sich mit dem Abgang des langjährigen Chefredakteurs Marty Baron im vergangenen Jahr vieles verändert habe – und nicht zum Besseren. Mehrere hochrangige Mitarbeiter verließen zuletzt die Zeitung, darunter der Kommunikationschef und der IT-Leiter. Barons Nachfolgerin Buzbee, zuvor Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Associated Press, habe kein vergleichbares Standing, sagt die Mitarbeiterin. „Mit Marty“, so ist sie sich sicher, „wäre das nicht passiert.“

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