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Palästinenser inspizieren ein zerstörtes Haus nach einem israelischen Luftangriff.

© dpa/Abed Rahim Khatib

Übermäßige Zerstörung zur Abschreckung: Wendet Israel die „Dahiye“-Militärdoktrin an?

Eine israelische NGO äußert den Verdacht, dass in Gaza eine Militärdoktrin aus dem Libanon-Krieg genutzt wird – die „unverhältnismäßige“ Gewalt gestattet.

Seit dem Massaker, das die radikalislamische Hamas am 7. Oktober in Israel anrichtete und bei dem mehr als 1400 Menschen ermordet wurden, führt Israel Krieg im Gazastreifen. Dabei wirft die israelische Armee Bomben über dem abgeriegelten Küstengebiet ab und geht seit einigen Tagen auch mit Bodentruppen vor.

Die israelische Organisation „Breaking the silence“ hat nun den Verdacht geäußert, dass bei der Militäroperation in Gaza die sogenannte Dahiye-Doktrin zum Einsatz kommt, die auf „unverhältnismäßige“ Gewalt setzt und massive Zerstörung zum Ziel hat. Auf der Plattform X schrieb die politische Nichtregierungsorganisation, die 2004 von ehemaligen Soldaten der israelischen Streitkräfte (IDF) gegründet wurde, dass das Ausmaß der Zerstörung durch israelische Bombenangriffe und Äußerungen israelischer Verantwortlicher diesen Verdacht nahelegen.

Der Sprecher der IDF, Daniel Hagari, hatte in den ersten Kriegstagen zu den Bombardierungen erklärt, „der Schwerpunkt liegt auf Schaden (damage), nicht Genauigkeit (accuracy)“. Die „berechtigte Notwendigkeit“, dass die israelische Armee Gefahren für die eigenen Bodentruppen ausräumt, kann nach Ansicht von „Breaking the silence“ nicht die Massivität der Luftschläge und die Auswahl aller Ziele erklären.

„Realität in den besetzten Gebieten“

„Breaking the silence“ will nach eigenen Angaben die israelische Öffentlichkeit mit der „Realität des täglichen Lebens in den besetzten Gebieten konfrontieren“, indem sie Berichte von Soldaten über ihre Erlebnisse während ihres Dienstes dort veröffentlicht. Ihr wird von einigen der Vorwurf gemacht, dass sie aktivistisch agiere; insbesondere der Umstand, die Aussagen ehemaliger Soldaten anonym zu veröffentlichen, wird kritisiert.

Die sogenannte Dahiye-Doktrin der Armee war im Krieg gegen die Hisbollah 2006 im Libanon entwickelt und später vom damaligen Kommandeur der nördlichen Einsatzkräfte und späteren Oberbefehlshaber der israelischen Streitkräfte, Gadi Eizenkot, öffentlich gemacht worden.

Dahiye ist der Name der südlichen Vororte Beiruts, in denen die schiitische Hisbollah-Miliz ihr Hauptquartier hat und welche die israelische Luftwaffe damals bombardierte und großflächig zerstörte.

Verfechter der Doktrin im Kriegskabinett

„Wir werden unverhältnismäßige Gewalt gegen jedes Dorf anwenden, aus dem heraus wir beschossen werden, und immensen Schaden und Zerstörung anrichten“, sagte er damals der israelischen Zeitung „Haaretz“. Diese Dörfer würden als militärische Ziele angesehen. „Dies ist kein Vorschlag. Dieser Plan ist bereits abgesegnet“, sagte Eizenkot damals weiter.

Rauch steigt nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen auf, vom Süden Israels aus gesehen.
Rauch steigt nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen auf, vom Süden Israels aus gesehen.

© dpa/Leo Correa

Der israelische Premier Benjamin Netanhaju hat Eizenkot nun als Berater ohne Stimmrecht in das Kriegskabinett für den Gaza-Krieg berufen. Im jetzigen Militäreinsatz hat sich die israelische Armee nie auf diese Doktrin berufen, sondern ihr Bemühen um den Schutz von Zivilisten betont.

Auch der israelische Oberst Gabriel Siboni hat sich immer wieder mit der Militärdoktrin befasst. In einem Bericht für das Institut für Nationale Sicherheitsstudien der Universität Tel Aviv sprach er sich 2008 für „sofortige, entschiedene“ Gegenschläge als Reaktion auf militärische Angriffe aus, die „unverhältnismäßig“ im Verhältnis zu den Angriffen und der Bedrohung sein sollten. Ziel sei es, „Schaden und Bestrafung anzurichten in einem Ausmaß, das lange und kostspielige Wiederaufbauprozesse nötig macht“.

Im jetzigen Krieg in Gaza sieht Siboni keinen Hinweis auf die Anwendung dieser Doktrin. „Ich denke nicht, dass diese Doktrin heute angewendet wird“, sagte er der französischen Tageszeitung „Le Monde“ Mitte Oktober. Es würden explizit militärische Ziele angegriffen. „Wir zielen auf Agenten der Hamas und anderer terroristischer Organisationen“, sagt Siboni, der heute am Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit tätig ist.

Nach israelischen Angaben sind in der ersten Kriegswoche zwischen dem 7. und 12. Oktober 6000 Bomben über Gaza abgeworfen wurden. Zuletzt hatten die Streitkräfte bekannt gegeben, dass 12.000 Ziele im Gazastreifen zerstört worden seien. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums sind in Gaza in den vergangenen vier Wochen mindestens 10.800 Menschen, darunter 4400 Kinder, getötet worden.

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