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Schriftzug „allet wird jut“ in Kreuzberg.

© imago/Steinach / IMAGO/Sascha Steinach

Alle reden über Post-Vandalismus : Wie die Ästhetik der Straße Künstler inspiriert

Sachbeschädigung, Dellen im Blech und Graffiti mögen draußen in der Stadt ein Problem sein. Im Galerieraum sind sie es nicht.

Eine Kolumne von Birgit Rieger

Eigentlich passt das so richtig gut zu Berlin. In der Kunst macht im Moment ein neuer Begriff von sich Reden: Post-Vandalismus. Die Zeitschrift „Kunstforum“ hat dem Phänomen gleich eine ganze Ausgabe gewidmet. Losgetreten hat den Trend der irische Künstler Stephen Burke, der 2019 den Instagram-Account „post_vandalism“ ins Leben rief. 60.100 Follower stand heute. Tendenz: schnell steigend.

Burke postet auf seinem Account Kunst von Weltstars genauso wie die von Sprayern und kaum bekannten Newcomern. Gemeinsames Kennzeichen ist, dass sie sich alle mit der nicht glattgebügelten, also irgendwie berlinischen Stadt auseinandersetzen, mit zerkratzten Fenstern und zugesprayten Mauern und diese Mülleimer-Optik und Brandmauern-Haptik verarbeiten sie in ihrer Kunst.

Vollgekritzelte Hauswände und olle Stromkästen

Kennzeichen der postvandalischen Ästhetik ist, dass sie von der Straße in Off-Spaces, in schicke Galerien und sogar in internationalen Museen schwappt. Typisches Beispiel: die schwedische Künstlerin Klara Lidén hat mal zwei versiffte Stromkästen in einem weißen Galerieraum aufgestellt. Oder man erinnert sich an Katharina Grosse, die große Installationskünstlerin und berühmte Sprayerin, wie sie im Hamburger Bahnhof die historische Ausstellungshalle vollsprühte bis hinaus in den Hof, aufs Pflaster und auf die Rieckhallen.

Ein früher Anstoß für Stephen Burke war, dass er sich für Tags und Graffitis interessierte, die von der Stadt entfernt werden. Dass da mal was war, lässt sich auch nach der Schönheitskorrektur nicht leugnen, es bleibt immer etwas zurück, meist merkwürdige Farbblöcke auf rauen Hauswänden, die an sich wieder etwas Malerisches haben.

In seinem Interview mit „Kunstforum“ sagt Burke, dass er eine Weile von Graffitientfernung „geradezu besessen“ gewesen sei. Ein kreatives Spiel aus Aneignung und Rückaneignung. Er begann sich neben den Übermalungen auch für Schutzvorrichtungen zu interessieren, die verhindern sollen, dass Leute mit dem Eigentum anderer Leute Quatsch machen, also zum Beispiel Kletterschutzvorrichtungen; sie sind nun Teil seiner eigenen Kunst.

Berlin wäre nicht Kunsthauptstadt, wenn man hier nicht kurzerhand in eine Galerie gehen könnte, um sich Post-Vandalismus live anzusehen. Bei Alexander Levy in Moabit hat Felix Kiessling den Galerieraum schummrig abgedunkelt. Drin liegt eine umgestürzte Kawasaki-Maschine, deren Hinterrad sich im Endlos-Loop dreht.

Die Lichter des Motorrads sind mit einem Datensystem gekoppelt, das immer dann reagiert, wenn irgendwo auf der Welt ein Blitz auf die Erdoberfläche trifft. Und es blitzt dauernd. Also flackern die Lichter. „Echtzeit“ heißt die Ausstellung, in der Kiessling neben dem Blitzen auch noch andere Naturgewalten in den Galerieraum bringt. Man bekommt durch diese technischen, manchmal sehr poetischen Arrangements für einen Moment wieder ein Gespür für die Natur, von der wir in der Stadt manchmal kaum noch etwas mitkriegen.

Wie schön wäre es, wenn alle, die zerstören wollen, es energieumwandlerisch im Galerieraum täten. Dann wären wir drüber hinweg. Echt post-vandalisch.

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