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Malerei aus geometrischen Formen in der Ausstellung „Etel Adnan & Simone Fattal. Voices without borders“ im KINDL - Zentrum für zeitgenössische Kunst.

© The Estate of Etel Adnan / VG Bild-Kunst, Bonn, 2023

Arabische Stimmen: Poesie und Malerei von Etel Adnan und Simone Fattal im KINDL

Die Berliner Ausstellung zeigt die poetische Seite in Etel Adnans Werk und den künstlerischen Dialog mit Lebenspartnerin Simone Fattal.

Am Anfang ist das Wort. Den ersten Raum einer Kunstausstellung mit einer Vitrine voller Romane und Listen von veröffentlichten Büchern zu beginnen, ist verwegen. Kuratorisch wird hier nicht lange gefackelt: Es geht um Literatur, um Schrift, um Zeichen und Worte. Und ja, auch um Kunst – als bildhafter Ausdruck von Worten.

Die Doppelausstellung mit Werken der Künstlerinnen Etel Adnan und Simone Fattal im KINDL ist als letzter Teil einer Ausstellungs-Trilogie über das Oevre von Etel Adnan zu verstehen. Das Lenbachhaus in München machte den Anfang und stellte 2022 Ölgemälde, Tapisserien und Zeichnungen aus. In leicht abgewandelter Form wanderte diese große Retrospektive nach Düsseldorf ins K20.

Etel Adnan als Dichterin und Philosophin

Die Ausstellung im KINDL ist nicht als Retrospektive gedacht, sie soll vielmehr andere Aspekte von Etel Adnans Schaffen aufzeigen. Alle drei Schauen wurden vom Kurator Sébastien Delot konzipiert, den eine tiefe Freundschaft mit Adnan und Fattal verbindet. Im KINDL steht nicht die erst spät zur Malerei gekommene Künstlerin Adnan im Mittelpunkt, sondern die frühe Dichterin, Autorin, Feministin, Journalistin und Philosophin Adnan. Diese Frau ist nicht mit einem einzigen Wort zu beschreiben, sie trägt vielerlei Identitäten in sich.

Privates Bild, links die Künstlerin Simone Fattal, rechts Etel Adnan.
Privates Bild, links die Künstlerin Simone Fattal, rechts Etel Adnan.

© privat

Adnans Mutter stammte aus Zypern, ihr Vater aus Syrien, geboren wurde sie 1925 in Beirut, Libanon. Ihre Muttersprachen sind Griechisch und Türkisch, doch wuchs sie in einem arabischen Umfeld auf. Da der Libanon zu jener Zeit unter französischer Besatzung war, ging sie auf eine katholische Mädchenschule, wo Französisch die Unterrichtssprache war. Während ihres Studiums in Amerika lernte sie Englisch.

Flucht nach Paris

Immer wieder kommt sie nach Beirut zurück. So auch 1972 als etablierte Journalistin für zwei französische Zeitungen. Hier lernt sie die syrische Künstlerin und Kunstkritikerin Simone Fattal kennen und lieben. Es gab kein aufsehenerregendes Coming-out, es war kein großes Thema. Die Beziehung zwischen den beiden Frauen war einfach ein Fakt und wurde Vorbild für viele Frauen der Region. Ihre gemeinsame, freiheitliche Zeit im Libanon währte nicht lange. 1975 brach der blutige Bürgerkrieg zwischen arabischen Nationalisten und prowestlichen Christen aus, der 15 Jahre währen sollte.

Die beiden Frauen konnten dem Druck im Land nicht standhalten und flohen 1976 nach Paris. Dort verarbeitete Adnan die erlebten Greuel dieses Krieges in ihrem auf Französisch verfassten Roman Sitt Marie Rose. Fattal gründet 1982 in San Francisco den Verlag The Post-Apollo Press, nur um diesen Roman auch auf Englisch publizieren zu können. Der Roman wird ein Erfolg und ist inzwischen ein Klassiker der Antikriegsliteratur. Ein Exemplar der Sitt Marie Rose befindet sich in der eingangs erwähnten Vitrine im ersten Raum.

Worte allein reichen nicht aus

Wie eng verwoben ihr literarisches Werk mit kriegerischen Auseinandersetzungen ist, zeigt ein weiteres Buch von Adnan, das in einem Separee im zweiten Ausstellungsraum von einer weiblichen Stimme vorgelesen wird. The Arab Apocalypse ist ein Gedichtband, in dem Adnan mithilfe von Poesie gegen den Algerienkrieg anschreibt. Hierin verschwimmen die Grenzen zwischen Wort und Symbol. Manche Wörter ersetzt sie durch von ihr erfundene Zeichen. Das kann ein Kringel, ein Kreis, ein Pfeil, ein dicker Punkt, schraffierte Flächen oder ein Kreuz sein. Wörter allein reichen ihr nicht mehr aus, um das ausdrücken zu können, was sie bewegt.

Die Grenzen zwischen Wort und Symbol verschwimmen in Etel Adnans „Apocalypse arabe 1“ aus den 1980er-Jahren.
Die Grenzen zwischen Wort und Symbol verschwimmen in Etel Adnans „Apocalypse arabe 1“ aus den 1980er-Jahren.

© The Estate of Etel Adnan / VG Bild-Kunst, Bonn, 2023

Und was sie stets bewegt, ist ihre tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit und Sicherheit. Ihre Herkunft, ihr Leben und ihre Erfahrungen sind von Umbrüchen, Flucht und Zerstörung geprägt. Worte, archaische Formen und reine Farben sind für sie dagegen ursprünglich und unveränderbar.

Aus dem Fenster ihrer Wohnung in Sausalito, Kalifornien, kann sie den Berg Tamalpais sehen. Als Zeichen der Unverrückbarkeit malt sie ihn jahrelang immer wieder, in allen Variationen und Farben, wird dabei immer abstrakter, bis der Berg schließlich nur noch aus geometrischen Formen aus reiner Farbe besteht. In einem Interview sagt sie: „Der Berg Tamalpais wurde allmählich zu meinem Haus. Für Cézanne war Sainte-Victoire nicht mehr länger nur ein Berg. Er war das Absolute. Er war Malerei.“

Auch die Sonne spielte eine Rolle in der Malerei von Etel Adnan. Hier ein Blick in die Ausstellung „Voices without borders“ im KINDL.
Auch die Sonne spielte eine Rolle in der Malerei von Etel Adnan. Hier ein Blick in die Ausstellung „Voices without borders“ im KINDL.

© The Estate of Etel Adnan / VG Bild-Kunst, Bonn, 2023

Einige ihrer Darstellungen des Berges sind in der Ausstellung zu sehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnörkellos, unverfälscht und universell sind. Sie zu betrachten, erdet und gibt Energie, wie Fattal im Katalog schreibt. Wie in einem Dialog sind vor diesen Bildern Wolken-Skulpturen aus glasiertem Ton von Fattal aufgestellt.

Neben dem Berg thematisiert Adnan auch unzählige Male den Mond und die Sonne in ihrer Kunst. Machtvolle Entitäten, die unberührt von menschlichen Tragödien ihre Bahnen ziehen. Im Videoraum wird erstmalig ein berührender Kurzfilm gezeigt. Darin erzählt Adnan von ihrer Begeisterung für Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, und wie sie ihm einmal fast begegnet wäre. Der Blick aus dem All auf unsere Erde relativiert die Auseinandersetzungen zwischen den Menschen auf der Erde und lässt sie mit einem Mal als Einheit erscheinen. Was bleibt, ist Erhabenheit.

Etel Adnan hat keine der drei Ausstellungen miterleben können. Sie starb im November 2021 im Alter von 96 Jahren in Paris.

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