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Seelenverwandte: Fei Li (Xiameng Zhang) und ihre Mentorin Dongxin Fu (Qing Hai).

© IQIYI Inc

Berlinale Series: Mörderischer Wandel

Die chinesische Serie „Why Try to Change Me Now“ nutzt eine Kriminalgeschichte, um den radikalen Umbau Chinas in den 1990er Jahren zu hinterfragen.

Es ist eine eher beiläufige Szene inmitten der chinesischen TV-Serie „Why Try to Change Me Now“. Zwei Erwachsene unterhalten sich am Küchentisch über die Probleme des Alltags, die Kinder schauen fern, eine Häkeldecke verdeckt den oberen Teil des Röhrenfernsehers.

Es sind die 1990er Jahre. Im Fernsehen läuft ein Karaoke-Gesangswettbewerb zwischen Unternehmen und Einrichtungen in der Industriemetropole Shenyang im Nordosten Chinas. Zunächst macht der Direktor einer Brauerei Werbung für sein nach „jahrhundertealter deutscher Handwerkskunst“ gebrautes Produkt. Danach tritt die Zigarettenfabrik gegen die örtliche Polizei an. Für „La Paloma“ auf Chinesisch bekommt der Sieger Standing Ovations.

In dieser kleinen Episode laufen alle Stränge zusammen. Der Brauereidirektor und seine Frau werden wenig später brutal ermordet, es ist der Beginn einer ganzen Mordserie, die die örtliche Polizei massiv unter Druck setzt. Die Ermordeten sind die Eltern von Musiklehrerin Dongxin Fu. Zusammen mit ihrem Ehemann Dezeng Zhuang – einem ehrgeizigen Angestellten der Zigarettenfabrik – und ihrem Sohn Shu Zhuang, der keiner Prügelei aus dem Weg geht, steht ihre Familie im Mittelpunkt der Erzählung, die auf der preisgekrönten Kurzgeschichte „Moses on the Plain“ von Xueta Shuang basiert. Auch das kleine Mädchen Fei Li, das gerade noch fernsah, gehört zum Kreis der Protagonisten, ist sie doch ebenso still und künstlerisch veranlagt wie ihre Förderin Dongxin Fu.

Die Morde – wenig später wir die Leiche eines Taxifahrers in seinem ausgebrannten Fahrzeug gefunden – bilden die Rahmenhandlung der sechsteiligen Serie, die Showrunner Xiahhui Wang für den chinesischen Broadcaster IQIYI produziert hat. Im Fokus steht jedoch der dramatische Umbau Chinas in den 1990er Jahren. Die Umstellung von der Plan- und auf die Marktwirtschaft nimmt wenig Rücksicht auf die Schicksale von Hunderttausenden Beschäftigten und ihre Familien.

Der 1983 geborene Schriftsteller Shuang Xuetao stammt selbst aus Shenyang, dem Rust-Bell Chinas. Seine Familie war Teil dieser Welt, in der die Fabriken mehr waren als Arbeitsplätze. Sie sorgten zugleich für Unterkunft und Lebensmittel, betrieben Krankenhäuser, Schulen, Kinos, öffentliche Bäder. In der gleichen Zeit, als die Treuhand im Osten Deutschlands die DDR-Wirtschaft abwickelte, begann in China mit dem Aufkommen der Sonderwirtschaftszonen der Niedergang jener Region, die einst die ökonomische Stütze des Landes war.

Den Menschen wurde die „Reform“ als eine Chance verkauft, die neue Möglichkeiten eröffnet. Menschen wie der ehrgeizige Dezeng Zhuang schaffen es tatsächlich, diese zu sehen und zu ergreifen. Anderen gelingt das nicht, sie werden zu Opfern des Wandels – und mitunter zu Tätern.

Regisseur Dalei Zhang, der 2021 für seinen Kurzfilm Xia Wu Guo Qu Le Yi Ban den Silbernen Bären gewann, erzählt in mitunter irritierend ruhigen Bildern von diesem Wandel und seinen Auswirkungen. Über eine Dekade hinweg lässt er die Zuschauer daran teilhaben, wie sich die Menschen ihren Platz in der neuen Gesellschaft erkämpfen oder daran scheitern. Die Frage ist nur, wer in „Why Try To Change Me Now” derjenige ist, der sich verändern soll, aber eigentlich nicht will? Aber vielleicht handelt es sich dabei ja nicht einmal um eine Person.

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