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Hoffnungsschimmer. Anthony Caros angelehntes „Himmelstor“.

© David Buckland

Caros „Jüngstes Gericht“: Die Gemäldegalerie hat sich in eine Kirche verwandelt

Die Hölle, das sind wir: Anstoß für Anthony Caros Hauptwerk waren die Kriegsverbrechen der Balkankriege. Sie erinnerten den jüdischen Künstler an den Holocaust.

Museen gelten gemeinhin als die Kathedralen der Gegenwart. Die Gemäldegalerie, zumindest ihre Wandelhalle, aber hat sich mit „The Last Judgement Sculpture“ von Anthony Caro (1924–2013), dem nach Henry Moore bedeutendsten britischen Bildhauer, in eine reale Kirche verwandelt.

Der Besucher betritt durch ein hölzernes Tor, über dem eine Glocke hängt, ein saalartiges Arrangement. Rechts und links säumen zwanzig kapellengleiche Gehäuse den Weg bis zur rückwärtigen Wand. Dort stehen vier Postamente mit den Posaunen des Jüngsten Gerichts, dahinter eine letzte Pforte mit angelehnter Tür.

Wer bis hierher durch die abgedunkelte Halle gekommen ist, vorbei an den mit Spotlights herausgehobenen Skulpturen, die an Kreuzwegstationen erinnern, der müsste reumütig geworden sein. Der Besucher defiliert an den Sünden der Welt vorbei, die Caro zwischen Figuration und Abstraktion zwar nur andeutet. Aber wie bei Picassos „Guernica“ wird eine fundamentale Erschütterung durch Gewalt und Leid spürbar.

Anstoß für das über 42 Tonnen schwere Ensemble, das einen eigenen Unterbau braucht, waren die Kriegsverbrechen während der Balkankriege. Sie erinnerten den jüdischen Künstler an den Holocaust.

Kurz vor Weihnachten macht das jüngste Gericht stutzig

Während der Künstler Mitte der 90er Jahre noch daran arbeitete, erwarb der schwäbische Unternehmer Reinhold Würth bereits die ersten Stücke und finanzierte damit die Vollendung seines Hauptwerks.

Dass „The Last Judgement Sculpture“ nun in Berlin zu sehen ist, geht auf einen regelmäßigen Austausch zwischen Deutschlands größtem Privatsammler und den Staatlichen Museen seit 2006 zurück. So lieh Würth dem Bode-Museum seine Holbein-Madonna, die Neue Nationalgalerie gastierte in der Kunsthalle Würth mit ihrer Ausstellung „Moderne Zeiten“.

Das Jüngste Gericht kurz vor Weihnachten macht stutzig, doch gibt es Bezüge zum Advent, der Ankunft des Herrn, der am Ende aller Zeit als Weltenrichter wiederkehrt. Damit passt Caros aus Steinzeug, Beton, Holz, Messing und Stahl geschaffenes Monumentalwerk erstaunlich gut in die Gemäldegalerie.

[Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 12. 7.; Di–Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr. Eröffnung 19. 12., 18 Uhr.]

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Ein Sprung durch die Zeiten

Es gibt zahlreiche Verbindungen zu den Alten Meistern, ganz konkret zu Fra Angelico, Jean Bellegambe, Petrus Christus und Hieronymus Bosch in einer Kopie von Lucas Cranach dem Älteren.  Die vier Posaunen sind das einzige Motiv, das ebenso bei Caro wie den Malern des 15./16. Jahrhunderts zu finden ist. Fürchteten die Menschen damals noch den Teufel, so wissen die heutigen Zeitgenossen: Die Hölle, das sind wir selbst.

Gut möglich, dass auch deshalb die Darstellung des Jüngsten Gerichts aus der Mode gekommen ist. Caro macht mit seinem Werk einen Sprung durch die Epochen. Die Gemäldegalerie gibt mit ihm einen Vorgeschmack darauf, was im Museum des 20. Jahrhunderts vis-à-vis einmal kuratorisches Prinzip sein wird: Vor- und Rückbezüge durch die Zeiten, keine durchdeklinierte Kunstgeschichte mehr.

Bei den Alten Meistern hätte die Neue Nationalgalerie ihre schönste Probebühne gehabt. Umso erstaunlicher, dass bisher keiner die Gelegenheit ergriffen hat, dort die seit Jahren wegen Sanierung des Mies-van-der-Rohe-Baus weggesperrte Sammlung in Teilen zu präsentieren. Der Transport wäre sehr viel leichter ausgefallen.

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