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Eine Seite aus „Das Recht der Erde“.

© Carlsen

Anti-Atomkraft-Comic „Das Recht der Erde“: 800 Kilometer zu Fuß bis zum Endlager

Comicautor Étienne Davodeau ist für „Das Recht der Erde“ quer durch Frankreich gewandert, um über die Risiken der Atommüll-Lagerung aufzuklären. 

Um über „Das Recht der Erde“ zu sprechen, muss man einen anderen Comic erwähnen, der in Frankreich für viel Furore gesorgt hat: „Welt ohne Ende“, Christophe Blains Sachcomic über die Klimafolgen unseres Energiesystems, war 2022 mit über 700.000 verkaufte Exemplaren das meistverkaufte Buch des Landes – vor allen Sachbüchern und Romanen.

Diesen Erfolg konnte der Comic in Deutschland nicht erzielen, und das hat einen Grund: Klimaexperte Jean-Marc Jancovici, der für den Inhalt von „Welt ohne Ende“ verantwortlich ist, empfiehlt zur Lösung der Klimakrise ausdrücklich Atomkraft.

Während diese Energieform in Deutschland äußerst unpopulär ist, ist sie in Frankreich mit 56 Atomkraftwerken sehr stark ausgebaut. Daher verwundert es nicht, dass Blains Comic von vielen französischen Leser:innen dankbar angenommen wurde.

Also ist ganz Frankreich von der Atomkraft überzeugt? Nein, nicht ganz Frankreich: Im Land von Asterix und Obelix gibt es trotz der großen Mehrheit für die Kernenergie eine kleine Gruppe widerständiger Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Anwohner:innen, die dem Staat die Stirn bieten.

Wandergesellen: Eine Seite aus „Das Recht der Erde“.
Wandergesellen: Eine Seite aus „Das Recht der Erde“.

© Carlsen

„Das Recht der Erde“ (Übersetzung Tanja Krämling, Carlsen, 216 S., 27 €) gibt ihnen eine Stimme: In einer Mischung aus Essay, Interview und Reisebericht stellt Étienne Davodeau („Die Ignoranten“) die zahlreichen Risiken und Probleme dar, die sich mit der ungelösten Suche nach einem Endlager für Atommüll verbinden.

Schwarzweiße Natur-Erhabenheit

Dafür hat sich der französische Zeichner auf eine lange Reise begeben: 2019 unternahm Davodeau eine 800 Kilometer lange Wanderung quer durch Frankreich, von den Höhlen von Pech Merle, an deren Wänden Steinzeitmenschen faszinierende Zeichnungen hinterlassen haben, bis ins lothringische Bure, wo derzeit ein großes Endlager für Nuklearabfälle gebaut wird.

Der Autor zieht im wahrsten Sinne des Wortes eine Linie zwischen dem umstrittenen Endlager, das für hunderttausende von Jahren bestehen soll, und der Höhlenkunst, die „erst“ seit 20.000 Jahren existiert.

„Diese Zeichnungen sind Geschenke von unseren Mitmenschen aus der Vergangenheit, die unter der Erde durch die Zeit zu uns reisen“, sagt Davodeau. „Was in Bure geplant ist, ist die Albtraumversion dieses Phänomens: Auch wir, die heutigen Sapiens, hinterlassen unter der Erde ein ewiges Vermächtnis für unsere fernen Nachfahren.“

Polizeigewalt und Überwachung: Eine weitere Seite aus „Das Recht der Erde“.
Polizeigewalt und Überwachung: Eine weitere Seite aus „Das Recht der Erde“.

© Carlsen

Während „Welt ohne Ende“ eher aus der Sicht der Ingenieurswissenschaften geschrieben ist, präsentiert „Das Recht der Erde“ einen emotionalen Blick auf das Thema Ökologie.

Der begeisterte Wanderer Davodeau ist sich bewusst, dass der Boden, auf dem er läuft, unser aller Lebensgrundlage darstellt und setzt ihm ein grafisches Denkmal: Egal ob die geschwungenen Berge des Zentralmassivs, die lichten Wälder von Burgund oder die lieblichen Täler von Morvan – der Comic ist nicht nur ein Appell gegen Atomkraft, sondern auch eine große Liebeserklärung an die Landschaften Frankreichs.

Davodeaus Liebe zur Natur überträgt sich auf seine Zeichnungen: Bilder von einsamen Landstraßen, idyllischen Hügellandschaften und sternenbeschienen Berghängen lassen immer wieder Fernweh aufkommen. Ausgeführt in einer Mischung aus Zeichnung und Aquarell verströmen die Schwarzweißbilder eine unterschwellige Erhabenheit, die die Natur stellenweise fast greif- und fühlbar macht.

Sicherheitsgarantie mit Lücken

Für den Comic hat Davodeau mit zahlreichen Menschen gesprochen, die sich gegen Atomkraft engagieren, unter anderem mit dem Ingenieur Bernard Laponche, der an der Errichtung der ersten französischen AKWs beteiligt war und sich später zu einem entschlossenen Kernkraftgegner entwickelte.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Carlsen

Laponche weist daraufhin, dass Atomabfälle nach und nach Wasserstoff abgeben, ab vier Prozent Wasserstoff in der Luft besteht Explosionsgefahr. Also braucht ein Endlager ein gutes Belüftungssystem, das mehrere hunderttausend Jahre funktionieren muss - ein Problem, das kommenden Generationen aufgehalst wird.

Davodeau spricht auch mit Anwohner:innen und Aktivist:innen, die aus erster Hand schildern, wie autoritär und intransparent der französische Staat den Bau des Endlagers durchgedrückt hat: Auf Proteste wurde unverhältnismäßig mit Polizeigewalt und Überwachung reagiert, Umweltschützer:innen wurden wie Verbrecher:innen behandelt und landeten zum Teil in Haft.

Teils real, teils imaginiert begleiten die Expert:innen Davodeau ein Stück mit auf seiner Reise. Auf den ersten Blick schweift er dabei etwas zu oft vom eigentlichen Thema ab; aber er tut das mit einer entwaffnenden Leichtigkeit, so dass sich der Bummelton des Comics nach und nach als eine seiner größten Stärken herausstellt. Davodeau hört dem Gesang der Lerchen zu, genießt die Einsamkeit und erduldet jedes Wetter – gerade diese entschleunigten Momente gehören zu den schönsten des Buches.

Auch wenn der Autor hier und da etwas zu pathetisch wird, stellt „Das Recht der Erde“ ein gelungenes und einfühlsames Plädoyer für einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Boden dar, der uns alle trägt. Damit ist der Comic ein gutes Korrektiv zu den allzu kurzgedachten Schlussfolgerungen von „Welt ohne Ende“, das die ethische Dimension des Atommüllproblems fast gänzlich außer Acht lässt.

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