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Ausbruch: Eine Seite aus „Work-Life-Balance“.

© Reprodukt (Aisha Franz: „Work-Life-Balance“)

Berliner Förderung schrumpft auf Vor-Corona-Niveau: Zeichner beklagen „massive Kürzung“ des Comicsti­pen­diums

Berlin fährt die Unterstützung für Zeichnerinnen und Zeichner 2024 auf ein Drittel der Vorjahressumme zurück. In der Szene provoziert das Protest, die Kulturverwaltung verweist auf einmalige Sonderzahlungen

| Update:

Die Berliner Landesregierung fördert im kommenden Jahr Comicprojekte mit deutlich weniger Geld als im Vorjahr. Die 2024 für Comicstipendien veranschlagte Summe wird nach Angaben der Kulturverwaltung auf das Niveau von 2020 zurückgefahren. Damit sinkt die aktuelle Förderung auf rund ein Drittel der Summe von 2023 – wohingegen der gesamte Kulturetat des Landes für die kommenden zwei Jahre mit jeweils einer Milliarde Euro aktuell ein neues Rekordhoch erreicht hat.

Insgesamt beträgt die Förderung für Comicschaffende im kommenden Jahr nach Angaben der Kulturverwaltung 87.000 Euro – vorbehaltlich verfügbarer Mittel im Haushalt. Das umfasst Stipendien in Höhe von 72.000 Euro für sieben Künstlerinnen und Künstler sowie einen geförderten Arbeitsaufenthalt in Paris in Höhe von 15.000 Euro.

Am Mittwoch gab die Kulturverwaltung bekannt, wer 2024 die Förderung bekommt. Zwei achtmonatigen Stipendien erhalten demnach Arinda Crăciun und Beatrice Naomi Davies. Die fünf viermonatigen Arbeitsstipendien gehen an Joris Bas Backer, Marc Hennes, Lutz Marx, Dirk Schwieger und Hannes Stummvoll. Für das Aufenthaltsstipendium Comic in Paris 2024/25 wurde Bianca Schaalburg nominiert.

Im Jahr zuvor waren 17 Stipendien in der Gesamthöhe von 192.000 Euro ausgereicht worden, dazu der Paris-Aufenthalt – also eine Gesamtförderung von 207.000 Euro. Das war für die seit 2017/2018 einmal jährlich vergebenen Comicstipendien der bisherige Höhepunkt.

Das zarte Aufblühen und die positive Entwicklung der Berliner Comic­szene darf nicht erstickt werden.

Aus dem offenen Brief der Comicgewerkschaft

Die vor gut einem Jahr neu gegründete Comicgewerkschaft, die sich als Vertretung von Zeichnerinnen und Zeichnern versteht, kritisierte die  Reduzierung in einem an Kultursenator Joe Chialo adressierten offenen Brief, der auf Instagram veröffentlicht wurde. Der CDU-Politiker wird aufgefordert, „die massive Kürzung rückgängig zu machen“.

Das Berliner Comicstipendium sei das „mit Abstand das bedeutendste Instrument“ zur Förderung der Berliner Comicszene, heißt es in der Erklärung der Organisation. „Das zarte Aufblühen und die positive Entwicklung der Berliner Comic­szene darf nicht erstickt werden.“

Die neue Regierung in Berlin hat eine Chance vertan, die Dynamik der Szene aufzugreifen und zu unterstützen.

Axel Halling, Deutscher Comicverein

Auch Axel Halling, Erster Vorsitzender des Deutschen Comicvereins, kritisiert die Kürzung: „Die neue Regierung in Berlin hat hier eine Chance vertan, die Dynamik der Szene aufzugreifen und zu unterstützen – mit in der Sparte sehr überschaubaren Summen, die jedoch viel bewirken könnten“, sagt er auf Anfrage.

Eine Seite aus „Work-Life-Balance“ von Aisha Franz. Das Buch wurde mit einem Berliner Comicstipendium gefördert und mit einem Max-und-Moritz-Preis als bester deutscher Comic ausgezeichnet.

© Reprodukt (Aisha Franz: „Work-Life-Balance“)

Das Berliner Comicstipendium habe sich in den vergangenen Jahren über die Grenzen Berlins hinaus etabliert. So seien beim wichtigsten europäischen Comicfestival in Angoulême 2023 die Werke von Aisha Franz und Jens Harder für eine Auszeichnung nominiert gewesen – beide hatten zuvor eine Förderung durch den Senat erhalten.

Der Comicverein war 2014 gegründet worden, um eine stärkere Anerkennung des Comics als eigenständige Kunst- und Kulturform zu erreichen. Seitdem hat er unter anderem die Einführung des Berliner Comicstipendiums initiiert, das in den Anfangsjahren mit jährlich 24.000 Euro dotiert war und die erste staatliche Comicförderung Deutschlands in diesem Umfang war. Bis heute fungiert der Verein auch als Partner der Senatskulturverwaltung bei der Vergabe der Stipendien.

Einen solchen Peak wie im Jahr 2023 wird es voraussichtlich nicht noch einmal geben.

Daniel Bartsch, Kulturverwaltung

Die Kulturverwaltung begründet die Reduzierung der Comicförderung damit, dass man in den vergangenen drei Jahren umfangreiche Zusatz-Gelder aus anderen Kultursparten in den Bereich Comics umleiten konnte, was im kommenden Jahr voraussichtlich nicht der Fall sei.

Eine Comicseite der Zeichnerin Marlene Krause, die für ihr Projekt „Niemand ist frei“ 2023 ein Comic-Stipendium des Berliner Senats bekommen hat. 

© Marlene Krause

Nach Angaben von Daniel Bartsch, dem stellvertretenden Leiter der Pressestelle der Kulturverwaltung, liegt die grundsätzliche Fördersumme für Comicstipendien im kommenden Jahr bei 48.000 Euro. Das sei in den Vorjahren nicht anders gewesen. Allerdings kamen zwischen 2021 und 2023 dann aus anderen Töpfen große Summen hinzu, die dort nicht wie geplant eingesetzt worden waren. Für 2024 konnten immerhin 24.000 Euro aus anderen Literaturförderprogrammen in den Comicbereich umgelenkt werden. Das ergibt zusammen die anfangs genannten 72.000 Euro.

Die im Jahr 2023 ausgezahlte Rekordsumme war demzufolge darauf zurückzuführen, dass neben der Grundsumme weitere 80.000 Euro aus dem Bereich Literatur übernommen werden konnten. Dazu kam eine weitere Erhöhung aus zusätzlichen Haushaltsmitteln in Form der sogenannten Corona-Hilfen in Höhe von 64.000 Euro.

Das war jedoch eine Ausnahmesituation, betont Bartsch. „Einen solchen Peak wie im Jahr 2023 wird es voraussichtlich nicht noch einmal geben.“

Nach Einschätzung der Comicgewerkschaft konterkariert die Reduzierung der Berliner Comicförderung die wachsende Bedeutung der Kunstform im deutschsprachigen Raum. „Das Medium Comic genießt in den letzten Jahren eine zunehmende Wertschätzung in der Kulturlandschaft und in den Medien, zuletzt wurde die För­de­rung des Mediums Comic ex­plizit in den Koalitions­vertrag der Ampel-Koalition aufgenommen“, heißt es in dem offenen Brief an den Kultursenator.

Die Zahl der Veröffentlichungen nimmt nach Einschätzung der Comicgewerkschaft stetig zu, immer mehr in Deutschland geschaffene Werke würden in andere Sprachen übersetzt. „Im Vergleich zum beispielsweise frankobelgischen Raum – in dem das Medium Comic als eigenständige Kunstform bereits voll etabliert ist – sieht man hierzulande also eine Art nachholende Entwicklung.“

Gleichzeitig habe eine Erhebung der Gewerkschaft ergeben, dass 80 Prozent der professio­nellen Comicschaffenden im deutschsprachigen Raum von ihrer künstlerischen Arbeit noch nicht leben können: „Vermehrte Förderung ist also dringend vonnöten.“

Axel Halling vom Comicverein betont, dass es bei der Berliner Förderung zudem auch darum gehe, die Stadt für Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt attraktiv zu halten. „Comicschaffende aus Osteuropa oder der Türkei leben hier aus teils sehr zwingenden Gründen inzwischen ebenso wie KünstlerInnen aus Asien oder Südamerika“, sagt er. Die Stipendien würden von Kreativen aus aller Welt „als ein konkretes Finanzierungsangebot ihrer Arbeit wahrgenommen“.

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