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Xueh Magrini Troll ist eine der Zeichner:innen, die 2023 mit dem
Berliner Comicstipendium gefördert werden, hier ein Bild aus ihrem Werk.

© Xueh Magrini Troll / Gewinnerin Berliner Comicstipendium 2023

Zehn Jahre Comicförderung in Deutschland: „Es könnte mehr sein, aber die Richtung stimmt“

Vor zehn Jahren forderte das Comic-Manifest eine Stärkung der Kunstform in Deutschland. Was ist seitdem passiert? Axel Halling vom Deutschen Comicverein zieht Bilanz.

Anfang September ist es zehn Jahre her, dass rund 100 Akteur:innen der deutschen Kultur- und Comicszene das Berliner Comicmanifest vorgestellt haben, in dem sie unter anderem eine Stärkung der deutschen Comic-Kultur forderten. Seitdem wurden auf der Ebene der Bundesländer Förderprogramme wie das Berliner Comicstipendium eingerichtet, die aktuelle Ampel-Koalition hat die Comicförderung in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen.

Zuletzt hat der Deutsche Literaturfonds, der Fördergelder der Bundesregierung verwaltet, Ende Juni 2023 angekündigt, künftig bis zu fünf Comicschaffende maximal ein Jahr lang mit je 3000 Euro monatlich zu unterstützen. Lars von Törne hat Axel Halling, Erster Vorsitzender des 2014 gegründeten Deutschen Comicvereins, per E-Mail zur Lage der Kunstform befragt.

Eine der Hauptforderungen des Comic-Manifests lautete 2013: „Wir fordern die finanzielle Förderung von Comicprojekten.“ Wieweit ist das damalige Ziel erreicht worden?
Mal abgesehen von der weiterhin anspruchsvollen Bürokratie bei den Ausschreibungen der Öffentlichen Hand ist es heutzutage viel einfacher, eine Finanzierung für Comicprojekte zu erhalten. Es gibt inzwischen eine höhere Anzahl direkter Förderungen ausschließlich für Comic (wie zum Beispiel öffentliche Stipendien wie in Berlin und Hamburg, oder etwa private Förderung durch die Berthold Leibinger Stiftung). Und viele Institutionen – privat oder öffentlich - haben sich entschlossen, ihre Ausschreibungen auch für Comic zu öffnen. Das könnte immer noch viel mehr sein, aber die Richtung stimmt.

„Wir fordern, dass der Comic dieselbe Anerkennung erfährt wie die Literatur und bildende Kunst“, lautete damals eine weitere Kernforderung des Manifests. In welchem Umfang ist das erreicht worden?
Bestes Beispiel ist hierfür das Land Berlin: Das Comicstipendium des Berliner Senats, das auf Betreiben des Deutschen Comicvereins und andere Akteure 2018 eingeführt wurde, ist deutschlandweit in seiner Höhe und der Anzahl der erreichten StipendiatInnen beispiellos. Damit wurde die jahrzehntelange Ungleichbehandlung des Comics gegenüber anderer Kultursparten behoben, die Szene fühlt sich unterstützt und ernst genommen, die Ergebnisse in Form von Comicpublikationen sind beeindruckend. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Berliner Senat diese so erfolgreiche Förderpolitik weiter fortführen wird. Auf Bundesebene wurde eine Gleichbehandlung des Mediums in der Förderpolitik mit der erstmaligen Ausschreibung des Deutschen Literaturfonds für Comicschaffende in 2023 erreicht.

Wegweisend. Das Comic-Manifest wurde am 2. September 2013 in Berlin vorgestellt.
Wegweisend. Das Comic-Manifest wurde am 2. September 2013 in Berlin vorgestellt.

© lvt

Eine dritte Forderung lautete damals: „Wir fordern die Schaffung eines deutschen Comicinstitutes, das Künstler zusammenführt, ihre Arbeit wissenschaftlich reflektiert und der kulturellen Bildung dient.“ Wieweit ist hier etwas passiert?
So eine Forderung ist in Zeiten leerer öffentlicher Kassen und teurer Infrastruktur deutlich schwieriger umzusetzen als die anderen Maßnahmen zur Comicförderung. Erfreulicherweise ist die Comicszene in Deutschland sehr dynamisch, pluralistisch und thematisch breit aufgestellt, und erfüllen zum Beispiel große Festivals wie der Comicsalon in Erlangen, die Gesellschaft für Comicforschung oder andere Institutionen wichtige Aufgaben in der Repräsentation und der Weiterentwicklung des Mediums. Daher sehe ich da deutschlandweit viele parallele Schienen, die die gesamte Comicszene vorangebracht haben bzw. weiter voranbringen. Die Schaffung eines oder mehrerer bundesweit comicbezogener Orte wäre aber natürlich perspektivisch wünschenswert, um informativ und auch repräsentativ als bundesweite Anlaufstelle(n) für das Medium dienen zu können. Der Comicverein prüft daher schon seit längerem die Einrichtung eines Ortes in Berlin, der ausschließlich dem Comic und seiner Klientel gewidmet ist, und steht in regelmäßigem Kontakt mit potenziellen Fördereinrichtungen zu diesem Thema. Hierbei prüfen wir auch die Kooperation mit Institutionen ähnlicher Ausrichtung.

Illustre Runde: Am 2. September 2013 wurde das Comic-Manifest beim Internationalen Literaturfestival Berlin vorgestellt, hier einige der Erstunterzeichner:innen.
Illustre Runde: Am 2. September 2013 wurde das Comic-Manifest beim Internationalen Literaturfestival Berlin vorgestellt, hier einige der Erstunterzeichner:innen.

© Lars von Törne

Im Jahr nach Veröffentlichung des Manifests ist der Deutsche Comicverein gegründet worden, beteiligt waren damals mehrere Erstunterzeichner des Manifests wie der 2022 gestorbene langjährige Vereinsvorsitzende Stefan Neuhaus. Wieweit verstand und versteht der Verein es als seine Aufgabe, die in dem Manifest erhobenen Forderungen umzusetzen und was konnte er seit seiner Gründung 2014 erreichen?
Der Verein hat bewusst viele inhaltliche Elemente des Manifests in seine Satzung übernommen und auch mit einigen davon kulturpolitisch argumentiert. Das war etwa bei der Einführung der Comic-Stipendien in Berlin so, die maßgeblich vom Verein, aber letztlich auf Druck der gesamten Berliner Comicszene entstanden sind. Ähnlich war dies bei der Begleitung der Einführung der Stipendien des Deutschen Literaturfonds auch auf Bundesebene. Die Erhöhung der Wahrnehmung des Comics aus Deutschland auf internationaler Ebene wurde und wird vom Comicverein zum Beispiel durch die regelmäßigen Festivalteilnahmen wie zum Beispiel in Angoulême in Frankreich gelebt.

Die Comic Invasion im Museum für Kommunikation Berlin hat sich zu einem der wichtigsten jährlichen Ereignisse der Berliner Comicszene entwickelt, hier ein Bild aus dem Jahr 2019.
Die Comic Invasion im Museum für Kommunikation Berlin hat sich zu einem der wichtigsten jährlichen Ereignisse der Berliner Comicszene entwickelt, hier ein Bild aus dem Jahr 2019.

© Luisa Orduno

Wieweit war der Comicverein bei der Schaffung des neuen Stipendiums des Deutschen Literaturfonds involviert, der künftig bis zu fünf Comicschaffende maximal ein Jahr lang mit je 3000 Euro monatlich unterstützen will?
Kurz nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags der jetzigen Bundesregierung im November 2021 wurde der Comicverein vom Deutschen Literaturfonds angefragt, ob er bei der Schaffung eines neuen Comicstipendiums auf Bundesebene beratend zur Verfügung stände. Das haben wir gerne zugesagt, und begleiten den Literaturfonds dabei bis heute: So haben wir die Mitglieder der Vorjury für Comicschaffende vorgeschlagen und sind auch selber mit einer Person in ihr vertreten.

Auf Social-Media-Seiten deutscher Comiczeichner:innen gab es neben Lob für das neue Stipendium auch die Kritik, dass es sich mit seinen Ausschreibungsrichtlinien vor allem an etablierte Bewerber:innen richte, die bereits bei einem Verlag veröffentlicht haben – wodurch sich Zeichner:innen ausgeschlossen fühlen, die ihre Arbeiten bislang im Selbstverlag oder in Anthologien veröffentlicht haben. Ein Manko der neuen Förderung?
Wenn hierzulande erstmalig ein bundesweites Comicstipendium mit hoher Dotierung ausgeschrieben wird, sind die Erwartungen der Künstlerinnen und Künstler verständlicherweise hoch. Allerdings ist die genaue Ausgestaltung einer Förderung die Sache des Geldgebers, und der Deutsche Literaturfonds versteht alle seine Stipendien für Kulturschaffende, auch in anderen Sparten, als Exzellenzförderung. Das ist also schlicht eine Frage der grundsätzlichen Ausrichtung. Wir werden in der Jury aber versuchen, nach Möglichkeit die comicspezifischen Bedingungen zu berücksichtigen. Das große Echo auf die Ausschreibung spricht deutlich für den großen Bedarf an Comicförderung in Deutschland. Daher setzen wir als Verein uns für die ständige Weiterentwicklung und Verbreiterung der Förderlandschaft für Comicschaffende ein.

Marlene Krause ist eine der Zeichner:innen, die 2023 mit dem
Berliner Comicstipendium gefördert werden, hier ein Bild aus ihrem Werk.
Marlene Krause ist eine der Zeichner:innen, die 2023 mit dem Berliner Comicstipendium gefördert werden, hier ein Bild aus ihrem Werk.

© Marlene Krause

Wo hapert es in Sachen Förderung und Anerkennung von Comics hierzulande noch besonders?
Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach immer noch die im Vergleich zu anderen Medien geringere Wahrnehmung des Comics als vielseitiges, aber eben auch qualitätsvolles Kulturgut. Auch wenn sich diesbezüglich in der Öffentlichkeit viel geändert hat, bleibt noch einiges zu tun, dass Comicprojekte annähernd ähnliche Chancen der Umsetzung finden und oder Comicschaffende auch ähnlich ernst genommen werden wie Vertreter:innen anderer Kultursparten. Zweitens wird die Menge an Arbeit, die selbst in wenigen Comicseiten steckt, von Laien sehr unterschätzt, und daher der Aufwand der Comicproduktion sehr oft nur ungenügend in finanzielle Kalkulationen eingepreist. Drittens werden die vielen Möglichkeiten, die das Medium Comic zum Beispiel für den gesellschaftlichen Diskurs, für die öffentliche Kommunikation oder für den Bildungssektor bietet, noch nicht genügend wahrgenommen.

In letzter Zeit warben mit Reprodukt aus Berlin und Edition Moderne aus Zürich zwei bedeutsame unabhängige Verlage der deutschsprachigen Szene mit Crowdfunding-Aktionen um Unterstützung, weil angesichts gestiegener Produktionskosten und teilweise eher geringer Verkaufsauflagen ihre wirtschaftliche Zukunft unsicher ist. Und Zwerchfell aus Stuttgart stellt wegen der allgemein eher schwierigen Lage für kleinere Comicverlage seine Arbeit gleich ganz ein. Wieweit brauchen neben den Comicschaffenden auch die Verlage mehr Unterstützung, und wie sollte die aus Sicht des Comicvereins aussehen?

Wie das Medium selbst müssen auch die Comicverlage in Deutschland in der gesamten Bandbreite ihrer Produkte in ihrer Arbeit ernster genommen werden. Die Präsenz des Comics aus Deutschland bei den nationalen Buchveranstaltungen oder auf internationalen Comicfestivals könnte deutlich verbessert werden, wenn hierbei langfristiger, kostengünstiger und in der Planung verstärkt mit den Verlagen selber zusammengearbeitet würde. Das würde auch helfen, beim Fach- und Lesepublikum die vielen Werke aus deutscher bzw. deutschsprachiger Produktion im In- und Ausland bekannter zu machen. Für den Manga zeigt dies zum Beispiel die langjährige Arbeit der Leipziger Buchmesse. International sollte die Präsentation deutschsprachiger Comics auf internationalen Festivals als Element der Außenkulturpolitik vom Bund gefördert werden, um die weltweite Vernetzung der Verlage und ihrer Künstlerinnen und -künstler zu unterstützen.

2022 hat der Deutsche Comicverein das zweitägige bundesweite Branchentreffen „Comic-Expansion“ in Berlin organisiert, um die Akteur:innen der Szene zusammenzubringen und Kulturstaatsministerin Claudia Roth und andere staatliche Vertreter:innen auf die Vielfalt und Bedeutung der Kunstform Comic aufmerksam zu machen. Wieweit war die Aktion erfolgreich und was folgt(e) daraus?
Die Fachkonferenz „Comicexpansion- Perspektiven der Comickultur in Deutschland“, die wir in Kooperation mit dem Literarischen Colloquium Berlin durchführten haben, hat an zwei intensiven Tagen sowohl die Dynamik und Vielfalt der Szene gezeigt als auch verschiedene aktuelle Diskurse der Comicszene intensiv diskutiert. Die daraus entstandene Dokumentation, der sogenannte „Comicreader“ ist über die Website des Vereins öffentlich zugänglich und bietet eine hervorragende Grundlage, um aktuelle und künftige Herausforderungen für die Szene zu diskutieren und ganz konkret anzugehen. Wichtiger Partner, aber auch Adressat der Fachkonferenz war und ist tatsächlich das Haus der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien unter Claudia Roth, das bereits unter Monika Grütters auf Anfrage des Vereins begann, sich für die Entwicklung der Comickultur in Deutschland zu interessieren und diese mit der Förderung der Comicexpansion auch finanziell unterstützten. Der Verein möchte diesen in Berlin angestoßenen Prozess der Vernetzung und des Diskurses fortsetzen, daher ist für 2024 eine weitere Fachkonferenz bereits in Vorbereitung.

Welche Ziele und Projekte hat der Deutsche Comicverein als nächstes im Visier?
Unsere vielen bereits laufenden Vorhaben zur Unterstützung der Comickultur in Deutschland bedeuten aktuell eigentlich genug Arbeit für uns als ehrenamtliche Akteur:innen. Ebenso erreichen uns regelmäßig Anfragen, die wir prüfen, und haben auch selber eine Menge an Ideen für neue Projekte. Daher kooperieren wir eng mit bereits für den Comic aktiven Institutionen, um das Medium Comic insgesamt, die Comic-Künstlerinnen und -Künstler und ihre Werke voranbringen zu können. Und auch wenn die Umstände aktuell nicht ideal sind, wäre die bereits oben erwähnte Einrichtung eines Comiczentrums in Berlin natürlich ein Traum! Es gibt also genug zu tun.

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