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Eine Auswahl der Edition-Modern-Titel.

© Edition Moderne

Crowdfunding-Aktion bringt 120.000 Euro: Edition Moderne rettet sich mit Hilfe seiner Fans 

Der Verlag Edition Moderne steckte in einer existenziellen Krise. Jetzt hat er bei seinen Fans deutlich mehr als die Zielsumme gesammelt, seine Zukunft ist vorerst gesichert.

| Update:

Der Schweizer Comicverlag Edition Moderne hat die drohende Pleite abgewendet und eine dafür organisierte Crowdfunding-Aktion erfolgreich abgeschlossen. Die selbst gesetzte Zielsumme der am 17. Mai im Internet gestarteten Sammlung lag bei 100.000 Franken, umgerechnet gut 102.000 Euro.

Gut eine Woche nach Beginn der Aktion wurde diese Summe bereits überschritten. Am letzten Tag der Aktion, dem 23. Juni 2023, lag die Summe der gesammelten Gelder abschließend bei 119.600 Franken, gut 122.000 Euro. 772 Menschen haben das Vorhaben unterstützt.

Das Crowdfunding lief auf der Website love.editionmoderne.ch. In einer Nachricht an die Unterstützerinnen und Unterstützer hatte das Verlags-Team seine Fans nach Erreichen der 100.000er-Marke dazu aufgefordert, nun lieber andere bedürftige Projekte zu fördern: „Natürlich ist mehr Geld auch gut, aber es gibt noch andere wichtige Projekte, die auch in finanzieller Not sind.“

Als Beispiel wurde das österreichische Fachgeschäft Pictopia Comics genannt, das derzeit ebenfalls mit einer Crowdfunding-Aktion seine bedrohte wirtschaftliche Zukunft sichern will. „Wenn ihr könnt, unterstützt diese und weitere Projekte“, schrieb die Edition-Moderne-Verlagsleitung. „Aber vor allem: Lest, kauft, verschenkt Bücher. Es sind wunderbare Gefährt*innen!“

Edition Moderne ist seit gut vier Jahrzehnten einer der wichtigsten Akteure der deutschsprachigen Comic-Szene. Im Mai war bekanntgeworden, dass das in Zürich ansässige Unternehmen nach Angaben seiner Geschäftsführung kurz vor der Pleite steht. „Wenn die Verkäufe wie bisher weitergehen, geht der Edition Moderne im Frühjahr 2024 das Geld aus“, sagte Claudio Barandun vom Leitungsteam des Verlages.

Es lebe Edition Moderne!

Marjane Satrapi („Persepolis“)

1981 gegründet, ist die Edition Moderne nach eigenen Angaben der älteste unabhängige Comic-Verlag im deutschsprachigen Raum. Er hat unter anderem Bestseller wie Marjane Satrapis autobiografische Graphic Novel „Persepolis“ sowie zahlreiche weitere Schlüsselwerke internationaler Comic-Autoren wie Jacques Tardi und Baru aus Frankreich sowie die Bücher des US-amerikanischen Comicreportage-Pioniers Joe Sacco auf Deutsch veröffentlicht.

Auch vielen deutschsprachigen Zeichnerinnen und Zeichnern hat er ein Forum geboten, darunter Thomas Ott, Nicolas Mahler, Anke Feuchtenberger und dem Comic-Duo Katz und Goldt.

Zuletzt hat sich der Verlag vor allem durch künstlerisch anspruchsvolle und oftmals aufwändig hergestellte, aber nicht immer leicht zugängliche Avantgarde-Comics deutschsprachiger und internationaler Autorinnen und Autoren profiliert.

So erschienen hier unter anderem das Buch „Prisma“, mit dem britische Zeichner Joe Kessler die Möglichkeiten der Kunstform Comic neu ausgelotet hat, Matthias Gnehms formal innovative Erzählung „Gläserne Gedanken“ und Nino Bullings „Firebugs/abfackeln“, das mit einer Ausstellung des Berliner Künstlers auf der Documenta 2022 korrespondierte.

Julia Marti, Claudio Barandun und Marie-France Lombardo leiten seit gut drei Jahren die Edition Moderne.
Julia Marti, Claudio Barandun und Marie-France Lombardo leiten seit gut drei Jahren die Edition Moderne.

© Anne Morgenstern / Edition Moderne

Dass es der Edition Moderne wirtschaftlich nicht gut geht, hatte sich bereits im vergangenen Jahr abgezeichnet. „Mit einer dramatischen Rundmail an Verlagskollegen“, so meldete der Buchreport im November 2022, habe das Unternehmen damals auf die „akute und längerfristige“ Gefährdung der Existenz aufmerksam gemacht.

„Die Entwicklungen auf dem globalen Papiermarkt, die steigenden Energie- und Transportkosten und die Unterbrechung von Lieferketten“ hätten die Produktionskosten für ihre Bücher im Verlauf der zurückliegenden Monate dramatisch erhöht, hieß es damals in dem Rundschreiben. Diese Preissteigerung könne die Edition Moderne, die ohnehin im höheren Preissegment unterwegs ist, nicht an die Kunden weitergeben.

„Too Big to Fail?!“

Mit der Zeit hatte die Krise offenbar so große Ausmaße angenommen, dass der Verlag vor gut einer Woche mit der Crowdfunding-Aktion an die Öffentlichkeit ging.

Dabei konnten Unterstützerinnen und Unterstützer im Gegenzug für ihre finanzielle Hilfe Bücher und Verlags-Souvenirs wie eine Tasche mit dem programmatischen Aufdruck „Too Big to Fail?!“ bekommen, für größere Spenden gab es Aktien des Unternehmens, ein Champagner-Frühstück im Verlagsgeschäft in und private Lese-Veranstaltungen von Autorinnen und Autoren der Edition-Moderne. Außerdem werden alle Spendenden auf der „Crowdfunding Wall of Fame“ am Verlagssitz verewigt.

Eine ähnliche Aktion hat im Frühjahr 2022 auch dem Berliner Verlag Reprodukt eine wirtschaftliche Atempause verschafft. Damals kamen mehr als 70.000 Euro zusammen, um trotz stark gestiegener Rohstoff- und Energiepreise das Herbstprogramm zu sichern. Dazu kam, dass der Verlag in Folge dieser Aktion eine deutliche Zunahme bei seinen Buchverkäufen erlebte, was möglicherweise auch mit der öffentlichen Aufmerksamkeit durch die Rettungsaktion zusammenhängt.

Im Fall der Edition Moderne sind die Ursachen der Krise nach Angaben seines Leitungsteams allerdings nicht nur die gestiegenen Herstellungskosten und Lieferschwierigkeiten. Das Problem ist offenbar zum Teil auch auf die inhaltliche Neuausrichtung des Verlages in den vergangen vier Jahren zurückzuführen.

David Basler ist einer der Gründer des Verlages und inzwischen im Ruhestand, hier ein Foto an seinem Arbeitsplatz 2016.
David Basler ist einer der Gründer des Verlages und inzwischen im Ruhestand, hier ein Foto an seinem Arbeitsplatz 2016.

© Lars von Törne

2019 hatte David Basler, einer der Verlagsgründer und lange Zeit Chef des der Edition Moderne, mit 65 Jahren die Führung des Unternehmens an ein neues Team abgegeben.

Julia Marti, Claudio Barandun und Marie-France Lombardo haben seitdem das Verlagsprogramm noch deutlicher als zuvor in Richtung kunstvoller, teilweise experimenteller Comic-Bücher fokussiert. Dazu zählen etliche von der Kritik und Fans anspruchsvoller Avantgarde-Comics gefeierte Werke, die aber im Massenmarkt einen schweren Stand haben.

„Wir sind etwas radikaler geworden, thematisch und formal“, sagte Verleger Claudio Barandun. „Das wiederum hat bewirkt, dass wir „klassische“ Comic-Lesende erschreckten, uns aber für neue, eher an Literatur interessierten Menschen, attraktiv machen – aber eben auch erst bedingt, denn für die sind Bilder tendenziell suspekt.“

Das Weiterbestehen der Edition Moderne ist wichtig, um auf den ersten Blick vielleicht sperrige Arbeiten durch Beharrlichkeit ins kulturelle Leben zu schleusen.

Comiczeichner Nicolas Mahler

Mit dem erfolgreichen Crowdfunding will die Verlagsleitung Zeit gewinnen, um den „intensiven Innovations- und Transformationsprozess“ der Edition Moderne so lange fortsetzen zu können, bis er sich auch wirtschaftlich rechnet. „Wir sind überzeugt, dass wir innerhalb von vier bis fünf Jahren die Transformation insofern abschließen können, als dass wir wieder so viele Leser*innen haben werden, dass der Verlag auf einer soliden ökonomischen Basis stehen wird“, sagte Claudio Barandun.

In Zürich betreibt der Verlag eine Ladengalerie.
In Zürich betreibt der Verlag eine Ladengalerie.

© Edition Moderne

Unterstützt wurde die Aktion durch zahlreiche „Testimonials“ aus der Comicszene, also Erklärungen zur Bedeutung des Verlages von Comicschaffenden, anderen Verlegern und Journalistinnen und Journalisten, zu denen auch der Autor dieses Artikels eine Einschätzung beigesteuert hat.

„Die Edition Moderne war vor über 20 Jahren der erste Verlag überhaupt, der eines meiner Bücher im deutschen Sprachraum veröffentlichte“, schrieb da zum Beispiel der Wiener Comic-Zeichner Nicolas Mahler. „Wenig bekannte Autoren zu veröffentlichen stellte und stellt immer ein besonderes (nicht nur finanzielles) Risiko dar.“ Die Edition Moderne sei dieses Risiko eingegangen, und habe so ihm und vielen anderen den Weg zu zahlreichen, auch internationalen, Veröffentlichungen und Kontakten geebnet. „Das Weiterbestehen der Edition Moderne ist wichtig, um auf den ersten Blick vielleicht sperrige Arbeiten durch Beharrlichkeit ins kulturelle Leben zu schleusen.“

Marjane Satrapi erklärte in ihrem Testimonial, dass es ohne den Verlag keine deutsche Fassung ihres Welterfolges „Persepolis“ gegeben hätte und appelliert: „Es lebe Edition Moderne.“

Und Dirk Rehm, Gründer und Leiter des Berliner Reprodukt-Verlages, schrieb: „Für die deutschsprachige Comicszene ist die verlegerisch neu besetzte Edition Moderne ein Glücksfall!“ Hier treffe unverkennbarer Zeichenstil auf eigenwillige Buchgestaltung, die Inhalte spiegelten die Zeit, in der wir leben. „Wie kein anderer deutschsprachiger Comicverlag propagiert die Edition Moderne offene Gesellschaft und ist unverzichtbarer Bestandteil europäischer Kultur.“

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