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© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Das Historische und das Poetische: Schinkel in der Friedrichswerderschen Kirche

Erstmals seit Eröffnung der Friedrichswerderschen Kirche als Museum ist dort eine Ausstellung zu dem bedeutendsten Baumeister des 19. Jahrhunderts zu sehen. 

Von Bernhard Schulz

Still und leise mausert sich die Friedrichswerdersche Kirche zum Publikumsliebling. Knapp 125.000 Besuche werden in diesem Jahr bereits verzeichnet, mehr als jemals vor der Pandemie. Die Dauerausstellung von Skulpturen des 19. Jahrhunderts trifft offenbar einen Nerv.

Skulptur als künstlerisches Medium hat es in unserer bild-zentrierten Wahrnehmung schwer. Dass aber die wunderbar in den Kirchenraum komponierten Werke des 19. Jahrhunderts Anklang finden, über die genau auf die Mittelachse gestellte Prinzessinnengruppe von Schadow hinaus, dürfen Yvette Deseyve als Kuratorin für Bildhauerei und Direktor Ralph Gleis seitens der Alten Nationalgalerie, zu der die Kirche als Außenstelle gehört, als Bestätigung ihrer Arbeit verbuchen.

Prächtiger Wiederaufbau

Gleis und Deseyve stellten jetzt auch eine weitere Neuerung vor: 14 Dokumentationstafeln auf der Empore, die das Langhaus und die Apsis umgibt, unter dem Titel „Fokus Schinkel. Ein Blick auf Leben und Werk“. Sie ersetzen die frühere, 1987 zur Wiedereröffnung des Gebäudes eingerichtete Dokumentation, die heutigen Ansprüchen, etwa hinsichtlich Zweisprachigkeit, nicht mehr genügte. Denn es kommen nicht nur Liebhaber der Bildhauerei in die Kirche, sondern auch Bewunderer Karl Friedrich Schinkels, die diesen einzigen in der Mitte Berlins erhaltenen Innenraum des Universalgenies sehen wollen. „Erhalten“ ist nicht einmal das richtige Wort, es müsste „in den Originalzustand versetzten“ heißen. Das geschah mit dem Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Kirche in den 1980er Jahren. Schließlich war der Zeitgeschmack des späten 19. Jahrhunderts an Schinkels Werk nicht vorübergegangen, sondern ließ die – noch bis zum Zweiten Weltkrieg als solche genutzte – Kirche prächtiger dekorieren, als Schinkel und sein sparsamer König es sich je erlaubt hätten.

Der sparsame König Friedrich Wilhelm III. war es auch, der Schinkel das Vorhaben untersagte, die Emporen in Gusseisen auszuführen, und sie stattdessen in herkömmlichem Holz ausführen ließ. Gusseisen war zur Bauzeit, zwischen dem Wettbewerbsgewinn 1824 und der Fertigstellung 1830, in Preußen ein kostbares Material und wurde vorrangig für militärische Zwecke produziert. Schinkel hatte in England, wohin er 1826 mit seinem Freund und Vorgesetzten Beuth gereist war, die Industrialisierung erlebt und im Detail beobachtet. Er hatte gesehen, welche Umwälzungen die Moderne hervorrief, und hielt den Anblick von Manchesters Fabriken im Tagebuch fest: „Es machte einen schrecklich unheimlichen Eindruck, ungeheure Baumasse von nur Werkmeistern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis allein ausgeführt.“ Das „nackteste Bedürfnis“ suchte Schinkel ein Leben lang mit Kunst zu veredeln.

Schinkel mutete sich mehr zu, als er leisten konnte

Darauf geben die unscheinbaren Sitzmöbel aus Eisenguss, die in vier Exemplaren am Rand des Kirchenraumes stehen, einen Hinweis. Auf den Informationstafeln wird Schinkel als Designer gewürdigt, als Maler, als Bühnenbildner, als Theoretiker der Architektur und und und. Schinkel war so vieles. Er mutete sich mehr zu, als selbst er, mit seinem überlangen Arbeitstag, zu leisten vermochte, und starb 1841, erst 60-jährig, nach Schlaganfällen oder, man muss es so sagen, an Erschöpfung.

Carl Friedrich Ludwig Schmid, Bildnis Karl Friedrich Schinkel, 1832, Öl auf Leinwand 

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger

Bald nach der Friedrichswerderschen Kirche schuf Schinkel, einen Steinwurf entfernt, 1836 die Bauakademie, das folgenreichste Bauwerk seiner so ungemein produktiven Laufbahn. Mit ihr baute Schinkel sein Vermächtnis an nachfolgende Generationen, die hier zu Architekten ausgebildet werden sollten. „Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft“, hat Schinkel geschrieben, und die Kuratoren der Alten Nationalgalerie haben es als Motto über die Ankündigung von „Schinkel Lectures“ gesetzt, die im kommenden Jahr in zweimonatigem Rhythmus gehalten werden sollen. Doch Schinkel war niemand, der neu um des Neu-sein-wollens baute. Gern wird übersehen, was er einmal selbstkritisch gesagt hat: „Auch ich geriet in den Fehler der rein radikalen Abstraktion, wo ich die ganze Komposition aus dem trivialen Zweck allein und aus der Konstruktion entwickelte. In diesem Fall entstand etwas Trockenes, Starres, das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente – das Historische und das Poetische – ganz ausschloss.“

„Das Historische und das Poetische“ – wo findet es sich in der heutigen Architektur? In der Friedrichswerderschen Kirche hat Schinkel beides verwirklicht, indem er auf die von ihm hochgeschätzte Backsteingotik zurückgriff, gleichzeitig dem Bau auf handtuchschmalem Grundstück eine ganz eigene, so noch nicht dagewesene Form gab. Sie macht es möglich, den ursprünglichen Kirchenraum heute als Hülle eines Museums zu nutzen, für Skulptur, aber eben auch für den Baumeister selbst, den bedeutendsten, den das 19. Jahrhundert in Deutschland gekannt hat.

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