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Karrierehöhepunkt. Wolfgang Laib 2013 mit Blütenstaub von Haselnuss im New Yorker Museum of Modern Art

© Wolfgang Laib / Foto: Carolyn Laib

Der Blütenstaubsammler : Ein Porträt des Künstlers Wolfgang Laib

Er ist ein Mönch unter den Künstlern. Wolfgang Laib arbeitet konsequent gegen alles an, was unsere Kultur für wichtig hält: Fortschritt, Tempo, Veränderung.

Eine Kolumne von Adrienne Braun

Vermutlich halten die meisten erst einmal die Luft an. Ein unbedachtes Niesen – und schon würde kostbarer Blütenstaub aufgewirbelt. Es wäre ein Jammer, schließlich hat Wolfgang Laib Jahre benötigt, um ihn vorsichtig von Kiefern abzuklopfen, in einem Becher zu sammeln und nun im Kunstmuseum Stuttgart auf dem Boden auszustreuen.

Eigentlich macht er alles behutsam. Die Welt mag immer schneller werden, er weigert sich, sein Schaffen auf Effizienz und Tempo zu trimmen. Andere wollen sich und die Kunst immer neu erfinden, er tritt lieber auf der Stelle, weil er das stete Vorwärtsstreben für „eine typische Idee unserer Kultur“ hält.

Laibs Konzept ist stetige ritualisierte Wiederholung. Und so zeigt er jetzt in Stuttgart auch nur Werke, die er schon vielfach produziert hat: pyramidenartige Skulpturen aus Wachs, Häuschen aus Marmor, eine spiegelglatt polierte Marmorplatte.

Von draußen nach drinnen. Wolfgang Laibs „Reisfeld“ aus der aktuellen Stuttgarter Ausstellung

© Wolfgang Laib / Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart

Wolfgang Laib ist ein Mönch unter den Künstlern – und das mit enormem Erfolg. Mit der kleinen runden Brille und dem kragenlosen Hemd erinnert er an Gandhi, der den Schwaben von Kindesbeinen an geprägt hat. Die Eltern – der Vater war Orthopäde auf der Schwäbischen Alb – engagierten sich einst in Indien bei Hilfsprojekten auf dem Land. Das hat auch ihn geprägt, weshalb auch er sein halbes Leben in Indien verbracht hat: Während der Wintermonate lebt er dort mit seiner Frau. 2006 hat er sich in einem Dorf in den Bergen von Madurai ein Atelier eingerichtet.

Bungalow in Oberschwaben

Sobald aber der Frühling naht, kehrt Wolfgang Laib in seine Heimat zurück, ein Dorf in Oberschwaben. Es ist ein beschauliches Dasein, das die Eheleute hier führen. Nur wenige Menschen lassen sie vor in den gläsernen Bungalow, den noch sein Vater bauen ließ auf einer Anhöhe mitten im Grünen. „Ich möchte mich konzentrieren auf meine wichtige Arbeit“, sagt er, Besucher „kann ich dabei nicht gebrauchen.“ Auch sein Atelier darf nur selten jemand besichtigen. Er hat es in einer alten Scheune eingerichtet hat, und es ist so blitzblank, dass man es nicht mit Straßenschuhen betreten darf.

So führt Wolfgang Laib im Einklang mit der Natur – und genießt es. „Alle anderen sitzen am Computer herum, ich dagegen kann tun, was ich will.“ Im Frühling verbringt er die Tage mit dem Sammeln von Blütestaub. Stundenlang kniet er dann auf der Wiese, um ihn vom Löwenzahn abzuklopfen. Aber auch Hahnenfuß, Haselnuss und Kiefer liefern ihm herrliches Pulver in unterschiedlichen Gelbschattierungen, das er in Ausstellungen zu großen Flächen ausstreut.

Der Sommer ist dagegen für seine Skulpturen reserviert. Früh am Morgen legt Wolfgang Laib im Hof die Bienenwachsplatten in die Sonne, damit sie weich werden. Er formt daraus Türme und Behausungen, mit Fön und Bügeleisen glättet er die Oberflächen, bis sie sanft und geschmeidig sind – bis sie „die Seele berühren“, wie er es nennt.

Das Reisfeld aus anderer Perspeltive. Wolfgang Laibs aktuelle Stuttgarter Installation

© Wolfgang Laib / Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart

Bei der konsequenten Wiederholung aller Vorgänge geht es auch um Einkehr und Spiritualität. Bei alledem ist er selbst durchaus eigen und kapriziös. „Die kommerzielle Kunstwelt finde ich abstoßend“, sagt er, auch wenn sich seine Arbeiten hervorragend verkaufen lassen, ob in Italien oder Japan, das ihn 2015 mit dem Kunstpreis Premium Imperiale auszeichnete. Laib weiß, dass er es sich erlauben kann, die Regeln zu diktieren – und tut es. So freundlich und leise er wirkt, steckt in ihm auch ein Kontrollfreak, der nichts dem Zufall überlässt.

Blick aufs große Ganze

In seinem Werk selbst versucht Wolfgang Laib zurückzutreten und das große Ganze zu sehen. Er will den Werken den Vortritt lassen. Die Arbeiten sollen „so wenig menschlichen Einfluss“ wie möglich haben. Deshalb hat er im Kunstmuseum Stuttgart an die 10.000 kleine Häufchen aus Reis in schlichter Ordnung gereiht – ohne Handschrift oder erkennbare künstlerische Geste.

Zwei Reishäuser im Atelier des Künstlers Wolfgang Laib

© Wolfgang Laib / Foto: Wolfgang Laib

Diese Schlichtheit hat etwas Berührendes - etwa wenn Laibin in einem Ritual Milch auf einen seiner marmornen „Milchsteine“ ausgießt, perfekt polierte Flächen mit einem dezentem Rand, der die Milch hält, sodass sich eine köstlich spiegelnde Milchoberfläche ergibt.

Es war einer dieser Milchsteine, mit denen Laib zum Künstler wurde. Eigentlich hatte er wie der Vater Medizin studiert, merkte aber bald, dass er zwar irgendwie heilen wollte, aber eben nicht als Arzt. „Mir ging es um viel mehr“, erzählt der 73-Jährige, er habe den Mensch ganzheitlich „in Prozesse einbinden“ wollen. So wurde er Künstler – und nachdem er 1982 auf der Biennale Venedig und 1982 und 1987 auf der Documenta in Kassel vertreten war, war er bald international gefragt.

Als junger Mann hatte er seine erste Ausstellung in einer Stuttgarter Galerie. Deshalb war es höchste Zeit, hier wieder einmal auszustellen, zumal das Kunstmuseum Stuttgart einen seiner legendären Wachsräume besitzt, einen vollständig mit intensiv riechenden Bienenwachsplatten ausgekleideten Raum.

Ins Weite schauen

Auch auf seinem Anwesen in Oberschwaben hat er in den Hügel einen hohen Wachsschacht gebaut, der sich hinter einer riesigen Tür öffnet. Gegenüber auf der Wiese steht ein kleiner Pavillon aus Glas, in dem Laib und seine Frau Carolyn gern am Boden sitzen, um bei einer Schale Tee in die Natur zu schauen. Und dann wird er sich wieder seinen Ritualen widmen, wieder und wieder. „Das ist das absolute Gegenteil von dem, was man in unserer Kultur für wichtig hält“, sagt er – und ist aus tiefstem Herzen überzeugt, dass es genau deshalb richtig ist.

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