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Angela Merkel und Francois Holland während der Verleihung des Friedensnobelpreises im Dezember 2012 in Oslo

© Suzanne Plunkett/rtr

Berlin und Paris: "Deutschland wird zahlen"

"L'Allemagne paiera" hieß es in Paris im Ersten Weltkrieg. Das gelte bis heute, meint die Journalistin und Deutschlandkennerin Odile Benyahia-Kouider. Sie hat ein Buch über "Angela-Land" geschrieben, das auch eins über Germanophobie ist - genauer: die von Frankreichs Elite.

„Wer hat schon Lust, seine Ferien in Deutschland zu verbringen?“ – „Haben Sie diese Stadt mal gesehen, Berlin? Es gibt da keine Cafés wie bei uns!“ – „Deutschland verdient an unserem Ruin.“ – „Vor Berlin habe ich Angst – vor Frankfurt genauso.“ – „Alle Deutschen sind Heuchler!“ Klingt stark nach anno 1914, aber tatsächlich sind alle diese Zitate beinahe hundert Jahre jünger. Und die so reden, sind, allen europäischen Sonntagspredigten zufolge, längst nicht mehr Erbfeinde, sondern allerbeste Freunde.

In ihrem gerade in Frankreich erschienenen Buch „L’Allemagne paiera“ („Deutschland wird zahlen“) nimmt Odile Benyahia-Kouider, Reporterin der Wochenzeitung „Nouvel Observateur“ und einst Deutschlandkorrespondentin von „Libération“, die soliden und teils erstaunlich kleinkarierten antideutschen Vorurteile und die Ignoranz jenseits des Rheins auseinander. Wobei sie sehr deutlich macht, dass beides weit häufiger in den Pariser Salons der Macht zu finden ist, bei den Eliten, als unter den Regierten. Und zwar unabhängig vom politischen Lager. Das böse Wort von der Krisengewinnlerin Deutschland etwa, die Frankreich zerstöre, stammt vom Sozialisten Arnaud Montebourg, Dritter der Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur 2012 und inzwischen Industrieminister. Den Bankier und früheren „Figaro“-Herausgeber Philippe Villin zitiert die Autorin mit den Worten: „Was Hitler nicht schaffte, schafft Merkel.“

Auch im sozialistisch regierten Frankreich, mit dem Germanisten Jean-Marc Ayrault als Premier, gelte: Deutschenhass geht immer. „Es ist fast Tradition“, seufzt Benyahia-Kouider. „Sobald’s nicht läuft, suchen Frankreichs Eliten unweigerlich zuerst Zuflucht zur Germanophobie.“ Verborgen, naturellement, unter viel Höflichkeit und Diplomatie: Hollande gratulierte Merkel noch am Wahlabend per Telefon, François Fillon, Premier unter Sarkozy, schickte schon im Wahlkampf Komplimente und Grüße über den Rhein. Dem Vorurteil gibt frappante Unkenntnis erst den festen Grund, und die Wissenslücken tun sich keineswegs nur auf dem Felde des Berliner Kaffeehauswesens auf: So belehrte Henri Guaino, einer der engsten Mitarbeiter Sarkozys, die erstaunte Benyahia-Kouider, nicht die Kanzlerin sei Chefin der CDU, sondern Hermann Gröhe, Merkels Generalsekretär. Der Versuch der Kennerin, ihn eines Besseren zu belehren, dauerte zehn Minuten. Und blieb erfolglos. Guaino ist „Enarch“, also Absolvent der Elitehochschule ENA.

Deutschlandversteherin ist in Frankreich – Alfred Grosser möge verzeihen – ein Frauenberuf. Vor Benyahia-Kouider hat sich Mitterrands Dolmetscherin Brigitte Sauzay an diesem großen und ewigen Übersetzungswerk versucht, als Urahnin des Genres kann Germaine de Stael gelten. Natürlich stellt auch Benyahia-Kouider ihrem Buch zwei Zitate aus Madame de Staels 200 Jahre altem Evergreen „De l’Allemagne“ voran, jener legendären Hymne an das Land der Dichter und Denker. Auch ihr Buch ist eine Hymne an Deutschland und die Deutschen, diesmal an Unternehmergeist, Mittelstand, Sozialstaat, betriebliche Mitbestimmung, öffentliche Moral und sogar an die Schuldenbremse.

Die Kehrseite des Modells Deutschland – Prekarisierung, mehr Armut als in Frankreich und eine Exportweltmeisterschaft, die andere an die Wand drückt – wird keineswegs verschwiegen, aber nur gestreift. Die Kanzlerin, die Sarkozy als „die Dicke“ schmähte, veredelt die Autorin zu „La Grande Angela“, zur „Kaiserin Europas“, die die Autorin mehrmals, nur wenig ironisch, mit Katharina der Großen vergleicht. Wäre „L’Allemagne paiera“ auf Deutsch geschrieben, es wäre perfekter Wahlkampfstoff gewesen und hätte, wer weiß, „Angela der Großen“ noch einen Prozentpunkt mehr ins Ergebnis vom vorvergangenen Sonntag gespült.

Der doppeldeutige Buchtitel übrigens zitiert den Finanzminister Clemenceaus, Louis-Lucien Klotz. Als ihn der Ministerpräsident 1917, im vorletzten Kriegsjahr, fragte, ob man denn die US-Schulden würde bedienen können, antwortete der: „Deutschland wird zahlen.“ Benyahia- Kouider liest Klotz’ alte Formel aktuell als „Subtext“ der „immer häufigeren, immer offeneren und verbreiteteren antideutschen Äußerungen“ in Frankreich. Und sie polemisiert, als gute Aufklärerin, schwungvoll und erfrischend wütend gegen die Arroganz der Eliten ihres eigenen Landes. Einen süffig lesbaren und gut informierten Schnellkurs „Alles über Deutschland“ liefert sie außerdem: Über ein Land der Kinderlosen, über Ossis und Wessis, und warum „er“, Hitler, nicht nur wieder, sondern eigentlich immer da ist und – nazisme oblige – den deutschen Blick auf die Welt lenkt.

Jene deutsche Selbstgewissheit – Arroganz? – freilich, unter der Südeuropas „Club Med“ seit etlichen Krisenjahren stöhnt, thematisiert diese "Reise in das Land Angelas", so der Untertitel, des Buchs, nur einmal und auf Distanz. Die Autorin braucht dafür einen Deutschen, den Soziologen Ulrich Beck: „Die Deutschen sind Universalisten: Sie glauben, dass das, was für sie gut ist, auch für den Rest der Welt gut sein muss. Sie können nicht verstehen, dass es auch andere Traditionen gibt.“ Auch Benyahia- Kouider nimmt das deutsche Selbstbild für die ganze Wahrheit: Wir haben ordentlich für Hitler gebüßt, sind einfach tolle Tüftler und Unternehmer und wollen ja Europa um Himmels willen nicht wieder erobern, sondern nur sein Bestes.

So nötig sie gerade nach dieser Wahl wäre: Sie ist noch nicht gefunden, die deutsche Madame de Stael – oder Benyahia-Kouider –, die die Deutschen darüber aufklärte, warum man ihnen, die doch alles nur richtig machen wollen, so gram ist und undankbar begegnet. Dafür scheint das Thema Deutschenhass gerade richtig Konjunktur zu haben: Am selben Tag wie Benyahia-Kouiders Buch erschien kurz vor der Bundestagswahl im französischen Traditionsverlag Flammarion Georges Valances „Kleine Geschichte der Germanophobie“. Von Kaiser Otto IV. bis zu Angela der Großen.

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