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Noch bester Dinge: Vater (Mohammad Bakri, links) und Sohn (Saleh Bakri).

© imago images/Everett Collection

Die ARD setzt israelkritischen Film ab : Vorsicht? Angst? Oder doch Zensur?

„Wajib“ könnte missverstanden werden, argumentiert die ARD. Dabei könnte er Grundlage für eine Diskussion sein.

Ich muss gestehen, ich habe den Film „Wajib“ - Hochzeit in Nazareth“ nicht gesehen. Ich hätte ihn sehen wollen, am 20. November um 0 Uhr 20 in der ARD oder in der ARD Mediathek. Das ist nun nicht mehr möglich. Die ARD hat das preisgekrönte Werk von Annemarie Jacir („Das Salz des Meeres“) aus dem Programm genommen, auch in der Mediathek ist er nicht abrufbar.

Nicht richtig im Programm platziert

Bei Spiegel.de findet sich die Begründung für die Absetzung. Danach prüfe die ARD „im Rahmen einschneidender gesellschaftlicher oder aber auch (welt-)politischer Ereignisse (…) standardmäßig, ob unser geplantes Programmangebot mit der aktuellen Lage in Einklang steht“. Der Film sei schon vor Monaten ins Programm genommen worden, aber „vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Nahost halten wir ihn jedoch aktuell für nicht richtig im Programm platziert, da er aufgrund seiner Erzählperspektive missverstanden werden könnte“.

„Wajib“ erzählt von einem Vater-Sohn-Konflikt. Der Vater hat sich mit der israelischen Besatzung arrangiert, was der Sohn, der in Rom lebt und arbeitet, nicht akzeptieren kann. Gemeinsam fahren sie durchs Land, um persönlich Einladungen zur Hochzeit der Tochter zu überbringen. Eine soziale Verpflichtung, auf Arabisch „Wajib“.

„Spiegel“-Autor Arno Frank schreibt, der Film enthalte „keine palästinensische Propaganda“, er zeige lediglich arabischen Alltag in Israel. Jörn Schumacher auf israelnetz.com nennt „Wajib“ ein Road-Movie, das ganz nebenbei Kritik an Israel übe. Wirklich witzig sei der Film nicht, streckenweise passiere sehr wenig, schreibt Schumacher. Doch dann komme es zu einem lautstarken Streit zwischen Vater und Sohn, in dessen Kern sie sich aber überraschend einig sein: Man muss sich als Araber bei den Israelis ein Leben lang einschleimen, um irgendetwas erreichen zu können, sind beide überzeugt.

Könnte man sagen, der Film nehme Partei für die Palästinenser in Israel. Könnte man sagen, dass diese Sichtweise israelkritisch ist. Muss man sagen, dass diese Perspektive vom Zuschauer missverstanden werden kann, wie die ARD argumentiert?

Ist diese Vorsicht berechtigt oder ist die Absetzung vorschnell, ängstlich wegen möglicher Reaktionen bis hin zum Vorwurf, die öffentlich-rechtliche ARD nähre den grassierenden Antisemitismus? Was ist warum noch zeigbar, was ist warum nicht mehr zumutbar. In diesen aufgeheizten, ja aufgehetzten Zeiten sind nur noch Eindeutigkeiten zugelassen. Das Ja, aber, die wesentliche Voraussetzung für jeden (gewinnbringenden) Dialog, ist im Verschwinden begriffen.

Zensur?

„Spiegel“-Autor Arno Frank nennt das Vorgehen der ARD „Zensur“. Für mich schießt er damit über das Ziel hinaus. Die ARD, eine öffentlich-rechtliche Institution, hätte die Gelegenheit nutzen sollen, den Film zu zeigen und gleichzeitig in eine Diskussion einzubetten. Erst „Wajib“, dann „hart aber fair“.

Es gilt eben die Sprachlosigkeit zu überwinden, sich an der Grenzziehung zwischen Weglassen und Zulassen zu beteiligen. Es muss doch ein mulmiges Gefühl auslösen, wenn die fluide Weltlage über die Qualität oder die Nichtqualität eines Films, eines Buchs bestimmt. Gibt es das überhaupt: Kunstprodukte, geeignet für Friedens-, nicht aber für Kriegszeiten?

Wer immer für sein eigenes Urteil sorgen will: „Wajib“ findet sich bei Youtube.

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