zum Hauptinhalt
Michelangelo Buonarroti
 Männlicher Rückenakt, um 1504

© ALBERTINA, Wien

Die Schönheit des Körpers: Michelangelo in Wien

Eine neue Ausstellung in der Albertina widmet sich dem Lebensthema des Künstlers: Dem männlichen Akt.

Von Bernhard Schulz

Die berühmteste Darstellung männlicher Akte hat es nie gegeben. Michelangelos Florentiner Wandbild mit dem Thema der „Schlacht von Cascina“ gedieh nicht über den Karton hinaus, mithin die maßstabsgleiche Vorzeichnung auf Papier. Und doch hat diese Darstellung die europäische Kunstgeschichte nachhaltig beeinflusst, solange der menschliche Körper im Mittelpunkt künstlerischen Schaffens stand.

Um die männliche Aktdarstellung als Zentrum ist die Ausstellung aufgebaut, die die Wiener Grafiksammlung Albertina unter dem Titel „Michelangelo und die Folgen“ den Herbst über zeigt. Mit ihr kehrt die Albertina, die unter dem Ende kommenden Jahres scheidenden Direktor Klaus Albrecht Schröder weit in die Gefilde eines vollgültigen Kunstmuseums ausgegriffen hatte, wieder zu ihrer Kernkompetenz der grafischen Sammlung zurück.

So kann die Mehrzahl der gezeigten Blätter aus dem eigenen Bestand genommen werden, was mit den Arbeiten von Michelangelo und seinen Zeitgenossen, an erster Stelle Raffael, wegen der Empfindlichkeit des Papiers nur alle paar Jahre möglich ist. Michelangelo Buonarotti, dessen Lebensdaten von 1475 bis 1564 den größten Teil der Renaissance umgreifen, erhielt als 28-jähriger, von Ehrgeiz getriebener Künstler um die Wende 1503/04 den Auftrag der Signoria des republikanischen Florenz, für eine Wand des Großen Ratssaales eine siegreiche Schlacht der Florentiner darzustellen, während für die gegenüberliegende Wand bereits Leonardo bedacht worden war.

Für Michelangelo war die historische Schlacht bei dem Örtchen Cascina ausgewählt worden, bei der die Florentiner sich eines Überraschungsangriffs erwehrten. Das Ganze trug sich im Hochsommer 1364 zu, also vor langer Zeit, und so scherte sich Michelangelo nicht um historische Details. Er stellte einfach die Fülle männlicher Leiber dar, wie sie eilends einem sommerlichen Bad im Fluss Arno entsteigen, um sich für den anstehenden Kampf Mann gegen Mann zu rüsten. Nur diese Szene ist überliefert, denn nicht nur wurde das Fresko nie ausgeführt, es ging auch der Karton verloren und ist nur in Teilen als Kopie überliefert.

Männlicher Akt als lebenslanges Thema

Doch hat Michelangelo zahlreiche Studienblätter angelegt, und das Thema des männlichen Aktes hat ihn überhaupt ein Leben lang beschäftigt. Die muskulösen Körper in ihren schwer wiederzugebenden Drehbewegungen, in komplizierter Interaktion und perspektivischer Verkürzung – das ist einer von Michelangelos Beiträgen zur Kunstgeschichte, an denen sich Generationen abgearbeitet haben, ohne – wie schon sein Biograf Vasari ahnte – dieselbe Meisterschaft je zu erreichen.

Bei Michelangelo kommt über die Kenntnis der Anatomie hinaus – er soll sogar Leichen seziert haben – das Moment der seelischen Erregung hinzu, das sich in körperlicher Anspannung äußert. Nur so ist die außerordentliche Wirkung der Zeichnungen ganz zu verstehen, exemplarisch beim acht Jahre jüngeren Raffael.

Ihm glückte ein ähnlich kometenhafter Aufstieg zum Künstlerstar, nun allerdings im Rom der Päpste. Die in Wien gezeigten Blätter enthalten im Kern die ganze Renaissance südlich der Alpen, denen dank des umfangreichen Bestandes an Dürer-Zeichnungen in einem Extra-Kabinett die des Nordens gegenübergestellt werden kann.

Albrecht Dürer sucht die wissenschaftliche Genauigkeit in seiner Proportionslehre, stellt aber mit dem wunderbaren Kupferstich „Adam und Eva“ genau in jenem Jahr 1504 ein gleichrangiges Bild idealer Schönheit vor.

Verfestigung eines Kanons

„...und die Folgen“ heißt es im Titel der Wiener Ausstellung, und so führen Klaus Albrecht Schröder und sein Team die Verfestigung eines michelangelesken „Kanons“ vor, bis hin zu dessen Bedeutungsschwund, der erstmals mit dem ungeschönten Realismus eines Rembrandt einsetzt. Nur die Akademien halten am Ideal fest, im Klassizismus um 1800 erlangt der Kanon nochmals absolute Autorität, erkennbar an den obligatorischen Aktstudien an ausschließlich männlichen Modellen.

Michelangelo Buonarroti
 Sitzender Jünglingsakt und zwei Armstudien, um 1510/11
Michelangelo Buonarroti Sitzender Jünglingsakt und zwei Armstudien, um 1510/11

© ALBERTINA, Wien

Und der weibliche Akt? Der spielte für Michelangelo kaum eine Rolle, und so widmet sich die Ausstellung diesem Thema gewissermaßen an Michelangelo vorbei.

Neben grafischen Blättern sind auch Skulpturen zu sehen, zumeist in Kopie oder Gipsabguss. Immerhin trat gerade Michelangelo früh schon als Bildhauer hervor, und sein 1504 vollendeter „David“ wirkte so schulbildend wie die Zeichnungen.

Albertina-Chef Schröder schließt das Katalogvorwort mit einer Spitze gegen seine Kritiker, indem er schreibt, die Zusammenführung von Zeichnungen und Skulpturen unterstreiche „einmal mehr die Richtigkeit unserer seit 25 Jahren vertretene Ausstellungs- und Präsentationsdoktrin von der Unteilbarkeit des Künstlerischen“.

Keine Frage, das ist, was Schröder seinem Nachfolger, dem Noch-Direktor der Alten Nationalgalerie Berlin Ralph Gleis, als Leitlinie vererben will.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false