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Kunst grammweise. Zhanna Kadyrova (re.) verkauft steinernes Obst und Gemüse  auf der Biennale in Venedig, 2019

© Natalka Diachenko / Natalka Diachenko

Ausstellung im Kunstverein Hannover: Brote aus Stein, Minimal aus Kriegsschrott

Die Abstraktion des Drastischen: Die ukrainische Bildhauerin Zhanna Kadyrova setzt künstlerische Produktivität als Widerstand gegen Putins Krieg ein.

Von
  • Nicole Büsing
  • Heiko Klaas

Auf der Biennale Venedig 2019 war die Welt der Zhanna Kadyrova noch in Ordnung. Im Arsenale präsentierte die 1981 geborene ukrainische Künstlerin ihre Arbeit „Market“, eine Installation in Form eines kleinen Wochenmarktes. Bananen und Wassermelonen, vor allem aber Schinken und Würste: Alles war kunstvoll geformt aus bunten Fliesen, Marmor, Granit, Zement und Glas. Eine performative Komponente hatte die Arbeit ebenfalls. Die appetitlichen Objekte konnten bei der als Marktfrau verkleideten Künstlerin direkt erworben werden. Ein Gramm für einen Euro.

Zhanna Kadyrova unterlief mit dieser ebenso ansprechenden wie subversiven Arbeit gleich zwei Regelsysteme des Kunstbetriebs. Erstens das Tabu der künstlerischen Selbstvermarktung und zweitens die schwer zu durchschauenden Mechanismen der Preisfindung – hier heruntergebrochen auf simple Kilopreise wie beim Metzger.

Die englischsprachige Redewendung „May You Live In Interesting Times“ hatte Ralph Rugoff, der Künstlerische Direktor der Biennale, damals zum Motto der Schau gewählt. Dessen Zweischneidigkeit ist durch den brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine leider allzu rasch zum Vorschein gekommen. Business as usual kann es nicht mehr geben – auch nicht für eine erfolgreiche Künstlerin wie Zhanna Kadyrova.

In ihrer Ausstellung „Daily Bread – Eine erste Retrospektive“ im Kunstverein Hannover darf ihre Biennale-Arbeit nicht fehlen. Sie steht am Anfang eines zunehmend verstörenden Parcours. Er enthält zwar auch ältere Arbeiten, in denen die Künstlerin Elemente des sowjetischen Alltags wie die Fliesen einer aufgegebenen Busstation in sperrige Modeobjekte übersetzt. Aber Zhanna Kadyrova hat vor allem aktuelle Arbeiten mitgebracht, die sich mit den Auswirkungen des Krieges beschäftigen. Dabei vermeidet die Künstlerin das Plakative oder plump Anklagende. Stattdessen benutzt sie tradierte Genres wie das Readymade, um ihre Botschaften in abstrahierter Form zu vermitteln. 

Da sind etwa zwei aus dem Straßenbelag der zerstörten Stadt Irpin entnommenen Asphalt-Fragmente, die jetzt wie schrundige Bilder des Informel an der Wand hängen. Die russischen Granaten, die sich in die Fahrbahn gebohrt hatten, sind nicht zu sehen, dafür aber die Krater, die sie hinterlassen haben.

Im langgestreckten Oberlichtsaal des Kunstvereins präsentiert Zhanna Kadyrova unter dem sarkastischen Titel „Harmless War“ ein ganzes Repertoire geometrischer Grundformen. Die von der Minimal Art übernommene skulpturale Eleganz der mattweiß lackierten Kugeln, Kuben, Kegel und Pyramiden kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie aus Autodächern, Straßenschildern und anderen Metalloberflächen zusammengeschweißt wurden. Ablesbar sind darin die Spuren von Granaten und andere Geschossen. Die Reinheit der idealen Form trifft hier auf die Rohheit des Militärischen.

Zhanna Kadyrova, die mittlerweile wieder in Kyiv lebt, war kurz nach dem russischen Angriff in ein kleines Dorf ganz im Westen der Ukraine, geflüchtet. In einem 20-minütigen Film ist zu sehen, wie sie sich von Dorfbewohnern deren Träume aus der letzten Nacht vor dem russischen Angriff erzählen lässt. Entstanden ist in dem Dorf auch die Werkgruppe „Palianytsia“, mit der Zhanna Kadyrova an ihre Marktstände anknüpft.

Zusammen mit den Dorfbewohnern hat die Künstlerin am einem Flussufer Findlinge aufgelesen und sie wie frische Brotlaibe aufschneiden und deren Oberflächen polieren lassen. Die Brotskulpturen präsentiert sie in Hannover auf einem weißen Tischtuch. Wer sie erwerben will, zahlt wie in Venedig ein Euro pro Gramm. Der Erlös kommt humanitären Zwecken in der Ukraine zugute.

Christoph Platz-Gallus, der nach Stationen bei den Skulptur Projekten Münster und der Documenta zuletzt beim Kunstfestival Steirischer Herbst in Graz tätig war, gibt mit dieser ebenso sehenswerten Schau sein gelungenes Debüt als neuer Direktor des Kunstvereins. Organisiert wurde die Ausstellung gemeinsam mit dem PinchukArtCentre in Kyiv. Dort soll sie im Sommer gezeigt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die ukrainische Situation das dann auch zulassen wird.

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