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Kolumne Was mit Medien

© Nassim Rad/Tagesspiegel

Digitales Gedächtnis : Ich bin mein Twitter

Ein Leben ohne soziale Medien ist möglich, aber sinnlos.

Eine Kolumne von Joachim Huber

Wird Twitter ein Fall für die Internet-Archäologie? Es will ja kaum einer mehr darauf wetten, dass der neue Besitzer des Kurznachrichtendienstes, dass Elon Musk Twitter nicht an die Wand fährt. Totalschaden, end of tweet.

Ich nutze Twitter gerne

Ich werde dann sagen: Schade, ich habe Twitter gerne genutzt, als Plattform für eigene Mitteilungen und Reaktionen darauf, als Gradmesser für die eigene Meinung. Zu Plädoyers für Schutzmaßnahmen gegen Corona, nur zum Beispiel, habe ich Contra bis zum Hass kassiert. Wer bei Twitter austeilt, der steckt bei Twitter ein, soweit in Ordnung, Twitter ist insofern ein soziales Medium, als ich mich darin sozial verhalte. Ohne Twitter kann das Leben ein langer, ruhiger Fluss sein. Brauche ich nicht. Ich bin freiwillig mehrere.

Hunderte von Millionen haben es mir gleichgetan, freilich mit unterschiedlicher Bedeutung, Relevanz und Prominenz. Milliarden Tweets wurden abgesetzt, ehrlicherweise hätten ich und andere diesen oder jenen besser nicht geschrieben. Hilft nichts. Wenn es stimmt, dass das Internet nichts vergisst, dann werde ich auch nicht vergessen.

Vor und mit Twitter gab es Flickr, Myspace oder Geocities, Plattformen, die als unverzichtbar galten. Jetzt sind sie Internet-Geschichte. Kümmert sich jemand um die dort platzierten Daten oder sind das digitale Totenreiche?

Kann man akzeptieren. Was aber geschieht mit Twitter  - wenn, falls, wahrscheinlich?

Twitter ist eine Datenschatztruhe, „die in Echtzeit die großen Konflikte abbildet“, wie Michael Moorstedt in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat. Umstürze wurden geplant, Kriegsverbrechen dokumentiert, Politik gemacht. Solche Quellen müssen gesichert werden, Musk hin, Musk her, hier geht es um Quellen der Menschheitsgeschichte.

Twitter also archivieren? Die Bibliothek des US-Kongresses hat es aufgegeben. Die Datenmenge ist zu gewaltig, aus der erst begonnenen und dann aufgegebenen Komplettsammlung ist ein Sortiment von Inhalten und Persönlichkeiten übriggeblieben. Prominenz siegt. Donald Trump muss sich keine oder gerade deswegen Sorgen machen.

Souverän des eigenen Avatars

Und der ganze große Rest? Nur Datenmüll, Füllmasse, totes Material? Noch lassen sich von Twitter die eigenen Beiträge zuschicken und archivieren. Ich werde das tun, aus der vielleicht naiven Überzeugung heraus, dass ich so ein Souverän meines digitalen Avatars bleiben kann.  

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