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Rammstein Sänger Till Lindemann.

© picture alliance/dpa/Malte Krudewig

Till Lindemann und seine Fanboys: Der Rammstein-Sänger wurde zu lange vom Kulturbetrieb hofiert

Das sogenannte System Lindemann führt über die Backstageräume hinaus. Der Rammstein-Sänger wurde im Kulturbetrieb als finsterer Romantiker verklärt, seine Frauenfeindlichkeit ignoriert.

Ein Kommentar von Nadine Lange

Wenn derzeit vom System Lindemann die Rede ist, sind damit vor allem Menschen im Umfeld des Rammstein-Sängers gemeint, die ihm junge Frauen zugeführt haben sollen.

Aber auch abseits der Row Zero und der Backstageräume existiert seit Langem ein System, das den Raum für mögliche Übergriffe begünstigt hat: teils namhafte Kulturbetriebsstimmen, die den Sänger und Dichter seit Jahren immer wieder als finsteren Romantiker mit zerquälter Seele verklärt haben, die ihn so nobilitiert und seine Frauenfeindlichkeit ignoriert haben.

Zum Beispiel Alexander Gorkow, Feuilleton-Chef der „Süddeutschen Zeitung“, deren Recherchen den Fall gerade maßgeblich vorangetrieben haben. Gorkow hat zwei Gedichtbände von Lindemann herausgegeben.

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In seinen Vorworten betont er dessen feine, sensible Seite: „Till ist, auch, wenn er einem gegenübersitzt, ein ganz genauer conteur; das fließt leise, detailreich, wie beiläufig, dabei auffallend rhythmisch. Er erinnert an einen Erzähler in deutlich vorelektrischen, in alten, alten Zeiten, sagen wir vor 400 Jahren: Schalen von vergorenem Obst und erlegten Fasanen, darüber die Fliegen, das Leben ist endlich, es sollte besser jetzt gelebt werden.“

Vergleich mit Gottfried Benn

Das ist ein sehr hoher Ton zu Ehren eines Mannes, der in seinen Song-Texten schon mal „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“ führt oder davon fantasiert, einer Frau Nagetiere einzuführen.

Über solche Stellen und Lindemanns archaische Männlichkeitsinszenierung sprach man(n) im Kulturbetrieb lieber nicht, das gehörte halt zum provokanten Dunkelmann-Image. Auch Moritz von Uslar, der 2013 anlässlich der Gedichtsammlung „In stillen Nächten“ mit dem Sänger durch Berlin spazierte, interessierte sich nicht für die misogynen Elemente in dessen Kunst, sondern fühlte sich unter der Überschrift „Ein Lyriker?“ gar an Gottfried Benn erinnert.

Klar: Till Lindemanns lyrisches Ich ist mitunter ein einsamer, erbärmlicher Wurm, aber dieser Teil seiner Kunst wird schlussendlich stets übertönt und übertrumpft von der hypervirilen Figur, die Flammenwerfer und Konfettikanonen zu Selbstüberhöhung benutzt.

Und die offensichtlich auch auf einen Verlagsmann wie Helge Malchow von KiWi eine so große Anziehungskraft ausübt, dass er unter anderem das viel zitierte Gedicht „Wenn du schläfst“ nach dessen Erscheinen verteidigte. Es mag hundert Mal von der Kunstfreiheit gedeckt sein, aber die Verteidigung einer Vergewaltigungsfantasie wirft eben auch einen Schatten auf den Verteidiger.

Als weitere Fanboys zeigten sich der erfolgreiche Schweizer Schriftsteller Martin Suter, der sich 2019 auf dem Schoß Lindemanns ablichten ließ, sowie Benjamin von Stuckrad-Barre, der die beiden in der dazugehörigen Bildunterschrift seines Instagram-Posts als seine Lieblingsdichter bezeichnet. Eine von der Hoch- bis zur Popkultur reichende Verbrüderungsgeste, die das Ego des Rammstein-Superstars weiter aufgepumpt haben dürfte. Schön, dass es zumindest damit jetzt vorbei ist.

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