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Elizabeth (Natalie Portman, links) soll Gracie (Julianne Moore) in einem Film verkörpern.

© Wild Bunch

Filmdrama „May December“: Natalie Portman und Julianne Moore liefern sich ein Psychoduell

Todd Haynes inszeniert in seinem neuen Film auf doppelbödige und unterhaltsame Weise toxische Weiblichkeit. Seine Schauspielstars geben alles, um „May December“ heißlaufen zu lassen.

Besuch aus Hollywood hat sich angekündigt in Savannah, Georgia, liebevoll von den Bewohnern als „Slow-vannah“ bezeichnet. Die Welt scheint in Ordnung, die Virginia-Eichen stehen fest verwurzelt, das Spanische Moos fällt engelshaargleich an ihnen herab, die Sonne scheint, die Grills dampfen, Menschen wedeln auf der Straße mit kleinen Nationalflaggen. „Wenn sie kommt, dann soll sie sich hier ein bisschen einbringen!“, sagt Gracie (Julianne Moore), die auf den Partygast Elizabeth (Natalie Portman) wartet, eine TV- und Independentfilm-Schauspielerin, die Gracie verkörpern und vorher kennenlernen will.

Alles ist auf den Besuch vorbereitet, Ehemann Joe hilft in der Küche, die Kinder toben durchs Haus. Doch ein erster von vielen Nervenzusammenbrüchen dieses Films kündigt sich an: Gracie öffnet die Kühlschranktür, dramatischer Zoom auf ihr Gesicht, zwei unheilvoll nachklingende Klavierakkorde: „Ich glaube, wir haben nicht genug Hotdogs!“

Die einfache Lesart dieser Szene ist: Entgegen dem Anschein liegen die Nerven blank, die Familienidylle ist prekär. Gracies und Joes Beziehung soll wieder an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Zwischen ihnen liegen 23 Jahre Altersunterschied, Joe war 13, als sie zusammenkamen, Gracie deswegen im Gefängnis. Die Schauspielerin, so alt wie Gracie damals und wie Joe heute, wird ein paar Tage bleiben und diese ungewöhnliche Familie kennenlernen. Und einbringen wird sie sich auch — mehr, als Gracie und Joe lieb ist.

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Schon in der ersten Szene haben wir Elizabeth als schlechtgelaunte scharfe Beobachterin kennengelernt, die sich vom bodenständigen Savannah-Setting nicht beeindrucken lässt. Ihr kalter, sezierender Blick will in Abgründe schauen, während Gracie ihr das Bild einer in der Gemeinschaft fest verwurzelten Normalbürgerin vorspielen will. Ein zweistündiges Psychoduell steht uns bevor, in dem die Karten immer wieder neu gemischt werden und in denen das gleißende Sonnenlicht des US-amerikanischen Südens die Körnung des Filmmaterials immer wieder fast zum Durchbrennen bringen wird.

Es gibt andere Ebenen dieses Films, die die Sache weiter erhitzen. Der „Hotdog Meltdown“ ist bereits ein Internet-Meme, genauso wie Julianne Moores kindliches Lispeln, das von Natalie Portman nach und nach kopiert wird. Der ganze Film ist voller scharfzüngiger Einzeiler, die schon die Camp-Rezeption dieser Frauenbeziehung vorwegnehmen: „Du siehst viel größer aus im Fernsehen“ (Gracies Begrüßungssatz), oder: „Das ist, was Erwachsene machen!“ (wenn es Elizabeth schließlich gelingt, Joe zu verführen).

Spiegel und doppelte Ebenen überall

Regisseur Todd Haynes kennt sich sehr gut aus mit flamboyanten Inszenierungen toxischer Weiblichkeit, und Moore und Portman geben wirklich alles, um das bereits erhitzte Filmmaterial nochmal auf den Grill zu legen. Immer wieder nimmt die Kamera die Position eines Spiegels ein, vor dem die Figuren (und die Schauspielerinnen) ihre Gesten überprüfen, ihre Nervenzusammenbrüche proben, den Effekt ihrer gelispelten Pointen kontrollieren.

Wir dürfen zuschauen, müssen uns nicht identifizieren. Schließlich ist auch Moores Verkörperung von Gracie schon die gut recherchierte Interpretation einer realen Person, von Mary Kay Letourneau, auf deren Geschichte das vielschichtige Drehbuch von Samy Burch lose basiert. Spiegel und doppelte Ebenen überall: Todd Haynes zitiert den Identitätsraub der beiden Frauen in Ingmar Bergmans „Persona“, der Komponist Marcelo Sarvos Michel Legrands Originalscore für Joseph Loseys „Der Mittler“ (1971), in dem auch ein 13-jähriger Junge zum Spielball von Erwachsenen wird.

Man muss diese Referenzen nicht kennen, um in „May December“ Spaß zu haben. Das von zwei grandiosen, High-Camp-erfahrenen Schauspielerinnen abgefackelte Duell zweier schillernden Figuren am Rande eines Sumpfgebiets, in dem die hochfrequenten Geräusche der Grillen an den Nerven zehren, reicht für diese Method-Acting-Party vollkommen aus.

Mit dem hohen Ton der Inszenierung, in der ausbleibende Kuchenbestellungen zur Identitätskrise hochgepitcht werden, man darüber nachzudenken lernt, wie Ehemänner riechen, die zu lange am Grill gestanden haben, in denen man durch Aquarien und Schlangenbehausungen hindurch auf Schauspielerinnen schaut, die Orgasmen in Tierhandlungen proben, und in der die Musik beim Blick in den Kühlschrank Katastrophen verkündet, hat Todd Haynes ein wunderschönes Ei in die Filmgeschichte gelegt, aus dem sich nach und nach ein schillernder Monarchfalter verpuppt.

Vielleicht stellt sich das Werk am Ende durch seine eigene Cleverness und perfekte Konstruktion selbst ein Bein, denn so richtig hinein ins Drama lässt er uns dadurch nicht. Aber die modernen Internetkulturen werden schon das Beste, Giftigste, Witzigste und Verstörendste aus ihm herausschneiden und in neue Zusammenhänge bringen.

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