zum Hauptinhalt
Constanza Arena auf dem European Film Market im Gropius Bau.

© Stefan Weger

Chile beim European Film Market: Filme aus einem ungleichen Land

Chile steht im Fokus des diesjährigen Branchentreffens bei der Berlinale. Das ist auch eine politische Chance.

Durch den Lichthof des Gropius Baus wabert Kaffeeduft. Stimmengewirr, hin und wieder knallt der Barista mit seinem Kaffeesieb. Auf den Tischen Laptops und Tablets. Menschen sitzen zusammen. Sie scheinen zu plaudern, doch an ihren Hälsen baumeln Ausweiskarten, die verraten: Hier geht's ums Geschäft.

Alle großen Festivals richten parallel zu Wettbewerb, Stars und rotem Teppich einen Filmmarkt aus. Bei der Berlinale ist das der European Film Market, kurz EFM. Seine Hauptstandorte: das Marriott Hotel am Potsdamer Platz und der Gropius Bau. Dort suchen Filmschaffende aus aller Welt nach Abnehmern für ihre Ideen. Geldgeber suchen Projekte, in die es sich zu investieren lohnt, und Vertreter kleiner und großer Filmnationen werben für die Vorzüge, die ihr Land einem Drehteam bietet.

Für Chile ist Constanza Arena zum Markt nach Berlin gekommen. „Für uns, die wir in der Filmindustrie arbeiten, ist das, was im Festivalprogramm passiert, die Vergangenheit“, sagt sie. „Wir arbeiten an der Zukunft.“ Die 43-Jährige nennt den Filmmarkt die „Küche des Kinos“. Was sie dort anrühren, wird dem Kinopublikum in zwei, drei Jahren serviert.

Constanze Arena ist die Direktorin von Cinema Chile, so etwas wie die Landesvertretung für die Filmproduktion. „Wir wollen Aufmerksamkeit auf unser Land und die dortige Filmindustrie lenken“, erklärt sie. Seit 2009 gibt es die Agentur, die Bilanz seither: ein Oscar für „Eine fantastische Frau“ von Sebastián Lelio, dazu vier Silberne Bären auf der Berlinale und vier Teddys. Nicht schlecht für ein Land mit knapp zwanzig Millionen Einwohnern.

Diese Entwicklung ist auch dem Team des Filmmarktes nicht entgangen. Seit drei Jahren wählt es jeweils ein Land aus, dem während der acht Tage des EFM besondere Aufmerksamkeit zuteilwird: das sogenannte „Country in Focus“. Nach Mexiko, Kanada und Norwegen ist es diesmal Chile.

„Für uns ist es bislang eher spannend, die Länder hervorzuheben, die bereits eine Beziehung zum Festival haben“, erklärt Matthijs Wouter Knol, der EFM-Direktor. In Chile sei in den letzten zehn Jahren im Filmbereich sehr viel passiert, auch das habe den Markt zur Einladung des Landes bewogen.

EFM platzt aus allen Nähten

Wenn Chile nun besonders im Fokus steht, wird deswegen sein Stand im Gropius Bau nicht automatisch größer ausfallen. Das ginge auch gar nicht, da das Haus eh aus allen Nähten platzt, wie Knol sagt. Doch schon wenn man sich dem Gropius Bau nähert, ist die Präsenz der Chilenen kaum zu übersehen. Auf den schwarzen Kleinbussen, die von einem Standort des Marktes zum anderen fahren, auf den Plakaten, die draußen am Haus hängen, überall heißt es: Chile - Country in Focus.

Die Treppe hoch, weg vom Gemurmel des Lichthofs, hinein in die Seitenräume, wo jedes Land sein eigenes Kino vorstellt. Zwischen extra eingezogenen Trennwänden wimmelt die Filmlobby durcheinander. In Separees bekommen Fachbesucher Gummibärchen, Thermobecher und Leinenbeutel mit den Logos der jeweiligen Landesvertretungen angeboten und erste Ausschnitte aus Filmen zu sehen, die gerade entstehen, die bereits fertiggestellt sind und von solchen, die schon länger nach einem internationalen Abnehmer suchen.

Die Chilenen entdeckt man ganz hinten links im Obergeschoss. Stand 138. Die Wände dort sind rot und weiß gestaltet. Von ihnen blicken Porträts der Mitglieder der chilenischen Delegation herab. Mehr als 90 Personen sind diesmal mitgekommen, eine gewaltige Zahl – in einem gewöhnlichen Jahr sind es gerade mal 20.

Sie alle genießen bei den Veranstaltungen des Filmmarktes besondere Aufmerksamkeit: Produzierende, Vertreter von Verbänden, fünf Dokumentarfilmerinnen, traditionell ein starkes Feld in Chile, aber auch der noch recht junge Bereich der Serien, der mit fünf Produktionen vertreten ist.

Kaum chilenische Berlinale-Filme

So präsent Chile dieses Jahr auf den Markt ist, so überschaubar fällt die Teilnahme an der Berlinale selbst aus. „El tango del viudo y su espejo deformante“, ein vor mehr als 50 Jahren begonnener, nun rekonstruierter und vervollständigter Film eröffnet das Forum – das war's. Kein neuer Beitrag von Pablo Larraín („Jackie“), keine neue Doku von Patricio Guzmán („Der Perlmuttknopf“).

Für Constanza Arena von CinemaChile ist das nicht weiter verwunderlich. „Wir können nicht vorhersagen, was die Kunstschaffenden produzieren. Wir sind ja keine Bank“, erklärt die Direktorin. Im Spätsommer in Venedig seien noch vier Filme im Programm gelaufen – für ein kleines Land wie Chile „absolut historisch“.

Was sich bereits absehen lässt, ist eine Reihe von Filmen, die sich mit den sozialen Protesten beschäftigen, die die Gesellschaft des lateinamerikanischen Landes seit Oktober in ihren Grundfesten erschüttern. In keinem der dreißig Mitgliedsstaaten der OECD ist der Besitz so ungleich verteilt wie in Chile.

Millionen von Menschen demonstrieren deswegen seit Monaten – darunter auch viele Filmschaffende. 99 Prozent von ihnen stünden hinter den Protesten, sagt Constanza Arena. „Sie waren die ersten Künstler, die auf die Straße gegangen sind.“ Natürlich mit ihren Kameras.

Die Wahl Chiles zum Fokusland wurde bereits vor einem Jahr bekannt gegeben, erste Überlegungen dazu reichen drei Jahre zurück, wie EFM-Direktor Matthijs Wouter Knol sagt. Dass die Entscheidung nun eine so brisante Dimension bekommt, freut den Niederländer. „Ich hoffe, dass ein starker Auftritt auf dem Filmmarkt auch einen politischen Effekt haben kann“, sagt Knol.

„In Chile gibt es großen Bedarf, in allen Generationen, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Lage heute ist und wie sie morgen sein soll.“ Die chilenischen Filmschaffenden haben die Zutaten beisammen. Die Küche des Kinos wartet schon.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false