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Bára Gísladóttir - Komponistin und Kontrabassistin

© Anna Maggý

Folge 183 „Wochniks Wochenende“: Die Gewinner des Ernst v. Siemens Musikpreises 2024

Die Gewinnerin eines der Förderpreise, Bára Gísladóttir, hätte manch einer eher beim CTM-Festival vermutet als im klassischen Betrieb. Dass diese Wahl genau richtig ist, findet unser Kolumnist.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Silva heißt das aktuelle Album der isländischen, in Kopenhagen lebenden Kontrabassistin und Komponistin Bára Gísladóttir. Ein einzelner, immer wieder mit neuem Ansatz gestrichener Ton ist zu hören – ein Kontra F, um genau zu sein –, auf eine Weise dröhnend, dass sich fast jeder Tontechniker noch vor wenigen Jahren zum „Korrigieren“, sprich, Dämpfen berufen gefühlt hätte. Genau so soll es hier aber klingen. Dumpf, wie man meinen könnte, tönt es dabei gar nicht, wenn man in die Obertöne und komplexen Überlagerungen hineinhorcht, dann: Verzerrungen elektronischer Couleur, sonderbare Schwebungen aus unerkennbarer Quelle.

Erst nach über einer Minute kommen wenige, aber deutlich abgesetzte Töne aus höheren Lagen hinzu, markieren ein zerbrechliches Konstrukt mit Respekt gebietender Fallhöhe – und in der Tat, sie fallen wieder auf dieses F zurück, das ununterbrochen weiterträgt. Spätestens hier bestätigt sich der Verdacht, dass die Komponistin mit einem Looper oder Delay arbeitet – einem Gerät also, mit dem sie sich selbst laufend aufzeichnet und das Aufgezeichnete ad hoc kontrolliert wieder zuspielen kann.

Es ist ein Verfahren, das in der Welt der freien Improvisationsmusik niemanden vom Hocker reißt, in der der klassischen Komposition allerdings noch immer nur in der Peripherie lungert. Irgendwo in der sogenannten Tonbandmusik wurzelt es, feierte schon in den Konzertinstallationen Alvin Luciers konzeptuelle Höhepunkte. Abgesehen von einigen Ausbrüchen, kommt erst nach über 20 Minuten Bewegung in das tonale Zentrum dieser fast einstündigen Komposition, die von einem wabernden, körperlich atmenden, sich stetig wandelnden Sound lebt, den Gísladóttir durch Schichtungen und Verzerrungen erreicht.

Mit dem klassischen Konzertbetrieb, wie man ihn sich vorstellt, hat das etwa so viel gemein wie die Feedback Arbeiten von Éliane Radigue – die tatsächlich nicht unähnlich klingen. Wozu also überhaupt die Rede vom klassischen Musikbetrieb? Nun, weil die klassisch ausgebildete, Partituren schreibende Komponistin Gísladóttir, sowie Daniele Ghisi aus Italien und Yiqing Zhu aus China jeweils die Förderpreisträger:innen des diesjährigen Ernst von Siemens Musikpreises sind – eines der höchst dotierten und vielbeachteten Preise der klassichen Musik überhaupt.

Den Hauptpreis bekommt übrigens die in Berlin lebende Unsuk Chin, über die ich an dieser Stelle schon mal schrieb. Auch wenn sie auf dem aktuellen CTM-Festival nicht zu hören ist, würde Gísladóttirs Stil ganz wunderbar hierher passen. Etwas richtig gemacht hat hier also die Preis-Jury, deren Wahl zur allerorten erwünschten Verjüngung des klassischen Publikums mehr beitragen dürfte als so ziemlich jedes ungelenke, auf Spaß statt künstlerische Qualität setzende Vermittlungsprogramm.

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