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Jérôme Leroy

© Pascal Ito/Edition Nautilus

Jérôme Leroys Roman „Die letzten Tage der Raubtiere“: Verschwörung in Frankreich

Wieder einmal hat der französische Schriftsteller einen dystopischen Krimi geschrieben, der der Realität sehr nahe kommt.

Alles kommt zusammen in diesem Krisen-Sommer in Frankreich: brutale Hitze, die Pandemie mit ihren Ausgangssperren, die vielen Toten, die neue, unkalkulierbare Virus-Variante. Dazu die Radikalisierung in der Politik, begleitet von Gewalttaten. Jérôme Leroy, Schriftsteller aus Rouen, der mit „Krimiautor“ unzureichend beschrieben ist, stürzt sein Heimatland in eine dystopische Entwicklung. Der Staat ächzt in den Fugen. Sein Sicherheitsapparat zerfällt in Teile, die sich verselbständigen.

Man kennt Leroys Faszination von Zerfalls- und Untergangsszenarien aus den Vorgängern dieses Romans. Sie bilden die Kulisse für die Handlungen von Menschen mit einer eigenen Agenda, in deren Zentrum die nackte Macht steht. So war es schon in „Der Block“ – dem Roman, mit dem Leroy kurz vor dem Polit-Duell Macron gegen Marine Le Pen 2017 deutschen Lesern bekannt wurde.

In der sich auflösenden Ordnung zeigen Leroys Helden und Anti-Helden ihre stärksten Talente. Von Charakter und Faszinationskraft her hätten Stanko, der Sicherheitsmann des Rechts-„Block“, seine Chefin, die frei nach Marine Le Pen entwickelte, liebeshungrige Agnès Dorgelles, und ihr Berater und Liebhaber Antoine Maynard Ehrenplätze im Olymp des Polit-Krimis verdient.

Ein Machtvakuum bringt das Land in Gefahr

Jetzt, in „Die letzten Tage der Raubtiere“, erzeugt die amtierende Präsidentin Nathalie Séchard ein Machtvakuum. Sie hat zu viel, zu lange Politik gemacht, um aus Disziplin bis zur nächsten Wahl durchzuhalten. Und da ist ihr junger Mann – erheblich jünger als Emmanuel Macron. Nathalie Séchard „hat eine Schwäche für die Jugend ihres Mannes“, schreibt Leroy. Sie möchte davon profitieren, solange es noch geht. Sie ist achtundfünfzig Jahre alt.“

Mit ihm will sie noch ein paar Jahre in der Bretagne leben. Über die Franzosen denkt sie, während ihr Mann sich an sie schmiegt: „Sollen sie doch sehen, wie sie klarkommen. Sie kann vielleicht noch Einfluss auf ihr eigenes Glück nehmen, aber nicht mehr aus das des Landes.“

Leroy spielt auch in diesem Roman, dem vierten, den er als Solist veröffentlicht hat, dem fünften, rechnet man eine Zusammenarbeit mit Max Annas hinzu, seine Stärke perfekt aus: Seine Heldinnen und Helden mögen machtgeil sein oder zynisch, müde oder bitter – doch keine und keiner ist ohne gewinnende Züge.

Nicht mal der an Statur und Energie immer weiter zulegende Innenminister, der Antipode der Präsidentin: Patrick Beauséant, ein alter weißer Mann klarer, harter Grundsätze. Während er sich nass rasiert, läuft ein Transistorradio. „Er mag das Knistern, es mag es, mit einer Hand voller Rasierschaum meckernd am Radio herumzudrehen, weil der Sender mal wieder weg ist. Er mag dieses Ding, so wie er alle Dinge mag, die im Verschwinden begriffen sind“, liest man.

Beauséant ist überzeugt, dass das große alte Frankreich mehr gilt als die Interessen der Franzosen. Ein Mann aus der Zeit, in der Generäle Politiker von starkem Kaliber abgaben. Um diesem Frankreich, das einer Nathalie Séchant nicht mehr vertraut zu sein scheint, zu neuer Stärke zu verhelfen, sind Intrigen notwendig, gelegentlich auch Spezialoperation bewaffneter Kräfte.

Neben den Liebesgeschichten sind Verschwörungen Jérôme Leroys zweite große Stärke. Verschwörungen funktionieren in Krimis nur, wenn sie solide und logisch konstruiert sind. Diese hier ist es. Beauséant sieht die Lücke im Machtgefüge, die Nathalie Séchant mit ihrem voreilig verkündeten Machtverzicht geöffnet hat – und beschließt, sie zu vergrößern.

Unruhen, Gewalt im öffentlichen Leben sind stets die beste Kulisse für einen Innenminister, um zu zeigen, was er kann. Dass er an die Spitze des Staates gehört. Orgiastische Brutalität, die zu dystopischen Entwicklungen, und zärtliche Liebesgeschichten: Zwischen diesen Polen bewegt sich Leroy auch diesmal. Hoffentlich macht er so weiter.

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