zum Hauptinhalt
„Thomas“ wurde im Alten Orchesterprobensaal der Berliner Staatsoper neu inszeniert.

© Gianmarco Bresadola

Keine Zeit zu sterben: Blut und Banalitäten an der Berliner Staatsoper

Georg Friedrich Haas’ Kammeroper „Thomas“ erzählt die Geschichte eines absurden Trauerprozesses. Die Staatsoper hat das Drama neu inszeniert.

Ein Krankenbett in einem Kasten aus Neonröhren. Fast wie in einem Schaufenster liegt Matthias und atmet – ein, aus. Ärzte beugen sich über seinen Körper, sein Partner Thomas steht neben dem Bett. Matthias röchelt schwer. Irgendwann zieht er den letzten Atemzug. Als Thomas die Verzweiflung erfasst, fachsimpeln die Pfleger über Gliedmaßen, die es zu waschen gilt.

Wie soll jemand trauern, wenn der Tod eines Lieben von stupidem Alltag überschattet wird? Wenn hinter jeder Ecke der nächste sterile Akt der Bürokratie lauert, der jede Träne erstickt?

Tanz mit dem Tod: Projektionen im Alten Orchesterprobensaal.

© Gianmarco Bresadola

Georg Friedrich Haas erzählt in seiner Kammeroper „Thomas“ (2013) einen absurden Trauerprozess. Die Staatsoper hat das Werk in seinem Alten Orchesterprobensaal neu inszeniert. In dem kleinen Raum wirkt das Stück besonders erdrückend: Der österreichische Komponist verspinnt krude mikrotonale Klänge zu atmosphärischen Klangteppichen, die die Figuren auf einer Persiflage des Klinikalltags begleiten. Während Titelheld Thomas gebrochen versucht, zu trauern, schwirrt um ihn herum das Klinikpersonal, das seinen Dienst in erdrückender Selbstverständlichkeit weiterführt.

Dunkelheit, Melancholie und Nacht sind bei Komponist Haas wiederkehrende Motive. „Thomas“ ist da vergleichsweise bekömmlich. Kein Elternmord, keine Pädophilie wird hier zum Sujet – „nur“ der Tod und der Wahnsinn, den er mit sich bringt. Banalitäten und Alltagsgeschehen erdrücken Thomas’ Trauer.

Banalitäten ersticken Trauer

Der Protagonist rangelt mit Matthias’ Körperdouble, während die Pfleger erbarmungslos von Nierenversagen und Medikamentendosen singen. Ein Arzt zündet sich eine Zigarette an, Thomas windet sich neben ihm auf dem Krankenbett im Probensaal und halluziniert seinen toten Geliebten. Kurz darauf bricht die Bestatterin Frau Fink als knallpinke Antithese zum toten Matthias in den Saal hinein, verteilt Visitenkarten im Publikum und rattert runter, was zu tun ist: Friedhofsamt, Versicherung, Sargkauf, Testament.

Dinner mit Todesengel: Jaka Mihelač, Elmar Hauser und Gabriel Rollinson in „Thomas“.

© Gianmarco Bresadola

Ihr performatives Beileid mündet in einen absurden Versuch, Thomas zu verführen – genauer: in einen sexuellen Übergriff, sie reibt ihre Brüste an Thomas’ Gesicht. Eine Hypersexualisierung, die sich dem Publikum nicht erschließen will. Später diniert Matthias wie selbstverständlich mit einem Todesengel, Thomas verfällt nebenan seinen Illusionen und zieht sich ins Leugnen zurück. Eine Szene, so absurd wie erdrückend.

Beengend schallt dazu Haas’ Partitur durch den Probenraum. Der Komponist ist für seinen modernen Spektralstil bekannt. Klangfarben, Obertöne und Mikrointervalle, – also Töne, die näher als Halbtöne beieinanderliegen –, verdrängen klassische Melodien. So entsteht ein dichtes, mitunter anstrengendes Klangkunstwerk, das die Verzweiflung des Protagonisten unterlegt. Glissandi hallen wie endlose Klagelaute und Seufzer durch den Saal. Zitate aus Glucks „Orpheus und Eurydike“ verleihen dem Werk eine mythische Bedeutungsschwere. Das Instrumentenensemble aus Schlag- und Zupfinstrumenten hüllt den Raum in atmosphärische Dissonanzen, so fiebrig und undurchdringlich wie der Probensaal in der schwülen Premierennacht selbst. Die Obertöne werden an dem Juniabend vom Flattern der Fächer und Programmhefte durchzogen, die Luft steht, passend zum erstickenden Sujet.

Blut und Nacktheit

Barbora Horáková inszeniert die Tragödie für die Staatsoper mit ordentlich Blut, Nacktheit und Dramatik. Das Publikum sitzt um das Geschehen herum. Die sterilen Krankenhausrequisiten – Bett, Tropf, stilisierte Kittel – werden durch ewig laufende Fernseher und Projektionen ergänzt. An einem Punkt teilen Vorhänge den Saal in drei klaustrophobische Räume, die einzelne Fragmente der Handlung beheimaten. Selbst Publikums- und Orchesterraum nutzt das Ensemble voll aus, bespielt Stühle, nimmt Kontakt auf.

Nicht zuletzt Thomas (Jaka Mihelač) trägt die schwere, mitunter krude Handlung und verleiht dem trauernden Protagonisten Menschlichkeit. Er spielt den Thomas ausdauernd und ohne eine einzige Pause im ganzen Stück. Clara Nadeshdin beherrscht als übergriffige Bestatterin Fink den Saal, spielt mit dem Publikum und singt sich bestimmt durch die Partitur. Die Countertenöre Elmar Hauser und Philipp Mathmann schallen klar und stechend durch den Raum, wenn sie als Ärzte und Engel um Matthias (Gabriel Rollinson) und Thomas kreisen – ergänzt durch ein kleines Ensemble, das mal tanzt, mal Leichen wäscht, mal auf Skateboards durch den Saal rollt.

Nach anderthalb Stunden zieht Komponist Haas einen kreativen musikalischen Bogen: Thomas halluziniert weiterhin die Wiederauferstehung seines Geliebten. Er und der imaginäre Matthias sitzen jetzt am Küchentisch und löffeln Suppe, die ihnen der Todesengel einschenkt. Der Klang der Atemzüge des Sterbenden am Anfang des Stücks wird nun zum lauten Schlürfen am Ende. Als der letzte Löffel gekostet ist, klatscht das Publikum minutenlang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false