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Im Jahr 1961 malte Walter Dötsch das Bild „Brigade Nicolai Mamai, Schmelzer Nationalpreisträger Hübner hilft seinen Kollegen“.

© Archiv Eckart Gillen/Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt

Kunst auf dem „Bitterfelder Weg“: Eine Ausstellung in der mitteldeutschen Industriestadt

„Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!“ Die Kulturschaffenden der DDR sollten von Werktätigen lernen und sie umgekehrt in „Zirkeln“ zum Schreiben, Malen oder zur Musik anleiten.

Von Bernhard Schulz

„In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse der DDR bereits Herr“, erklärte Walter Ulbricht 1958: „Jetzt muss sie auch die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen.“ Was der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED damit meinte, zeichnete sich im Jahr darauf bei einer Zusammenkunft ab, die als „Autorenkonferenz“ des Mitteldeutschen Verlags im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld (EKB) anberaumt war.

Mit der überraschenden Anwesenheit Ulbrichts und seiner programmatischen Rede bereitete sie stattdessen den Weg zum Aufbau einer „sozialistischen Nationalkultur“. Dieser, alsbald „Bitterfelder Weg“ genannt, sollte zur Vereinigung von Kunst und Volk führen und die Werktätigen in Verbindung zu Künstlern und Schriftstellern bringen.

Schreibende Arbeiter

„Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!“, stand damals in großen Lettern an der Stirnseite des Saales im Kulturpalast des Kombinats, 1954 eröffnet und einer der größten in der ganzen DDR. 150 Schriftsteller und 300 „schreibende Arbeiter“ waren versammelt. Die Kulturschaffenden sollten von den Werktätigen lernen und sie umgekehrt in „Zirkeln“ anleiten, zum Schreiben, Malen oder zur Musik.

Der „Bitterfelder Weg“, von den Berufsschriftstellern nur sehr widerwillig beschritten, weil die ungeschminkte Wiedergabe der Wirklichkeit darin nicht vorgesehen war, endete als Sackgasse, spätestens, als die SED beim berüchtigten „Kahlschlag-Plenum“ von 1965 „dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen“ brandmarkte.

Die bildende Kunst kam glimpflicher davon als die gemaßregelte Literatur. In „Zirkeln“, aus Betriebsangehörigen gebildet und von Berufskünstlern angeleitet, wurde weiterhin und sogar in immer größerer Breite gemalt, vielfach bis zum Ende der DDR.

„Auf den Weg der Volksverbundenheit leiten“

Die Arbeitswelt war zentrales Thema. Bereits 1957 war in Halle eine „Arbeiterbrigade“ mit dem Ziel gebildet worden, „die Kunst auf dem Weg der Volksverbundenheit zu leiten“. So steht es zu lesen in der Begleitbroschüre zu der hochinteressanten Ausstellung, die unter dem Titel „Aufbau. Arbeit. Sehnsucht“ in Bitterfeld gezeigt wird. Zu sehen ist ein Querschnitt durch die im Umfeld des hiesigen Kombinats entstandene Kunst von den Aufbaujahren bis zum Ende der DDR.

Ein Glanzstück wie der virtuos gemalte „Chemiearbeiter am Schaltpult“, mit dem der Hallenser Willi Sitte 1968 seinen Aufstieg zum Staatskünstler festigte, ist zwar nicht dabei. Aber es lässt sich verfolgen, wie die theoretischen Vorgaben der Partei in konkrete Szenen übersetzt wurden.

Am eindrücklichsten gelingt dies dem Bitterfelder Maler Walter Dötsch in dem Triptychon von 1971/72, „Ein Tag aus dem Leben der Martha Gellert“. Sie ist die idealtypische Werktätige der DDR, die neben ihrem Arbeitsalltag – auf der breiten Mitteltafel gefeiert – in der Kindererziehung sowie als Amateurkünstlerin tätig ist. Die vermeintliche Emanzipation der Frau erweist sich als Dreifachbelastung, die eine stets gut gelaunte Heldin ganz selbstverständlich meistert.

Das Brigadebild: Ein eigenständiges Genre

Das „Brigadebild“ wuchs sich zum eigenständigen Genre aus, es zeigt die „Brigade“ genannte Arbeitsgruppe eines Betriebes bei der Arbeit, etwa wenn „Schmelzer Nationalpreisträger Hübner“ der „Brigade Nicolai Mamai“ durch tätiges Vorbild „hilft“. Walter Dötsch malte die Szene 1961 vielleicht ein wenig zu farbenfroh; als er aber 1985 zu dem Sujet zurückkehrt, sieht er nur mehr abgekämpfte Arbeiter, ein jeder mit sich beschäftigt.

Die nach einem sowjetischen Vorbild benannte „Jugendbrigade“ war eine der ersten im Sinne der bald für die ganze DDR verbindlichen Parole „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. Dötsch, der einst bei Oskar Schlemmer studiert hatte, wurde als „Ehrenmitglied“ aufgenommen; sein Gemälde hing später sogar im Ost-Berliner „Museum für Deutsche Geschichte“.

Kurz vor der Rente steht die Arbeiterin, die Norbert Wagenbrett 1989 in „Brigade II“ porträtiert hat, illusionslos und in einem an die 1920er Jahre erinnernden Verismus. So übersichtlich die Ausstellung auch ist, erzählt sie doch mehr und Wichtigeres über die DDR als gängige Objekt-Ausstellungen, die sich an der vermeintlichen Exotik der DDR hochziehen.

Die Kunsthistorikerin Katharina Lorenz analysiert die Frauenbilder in der Katalogbroschüre, zu der der Berliner Kenner der DDR-Kunst, Eckart Gillen, einen Grundlagentext zur „Ideengeschichte des ‚Bitterfelder Wegs‘“ beigesteuert hat. Wie auch sonst stand der „Große Bruder“ Sowjetunion bei der Volkskunstbewegung Pate.

Das Widerständige der Bilder besteht darin, dass sie bei aller ideologischen Folgsamkeit eben doch verraten, wie es um die Wirklichkeit beschaffen war. Für die Feierabendkünstler der „Zirkel“ waren es jedoch Hoffnungszeichen eines besseren Lebens, einerlei, was der „Bitterfelder Weg“ vorgab.

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