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Tausendundeine Nacht? Clemens Tremmel hat in „Sakhra“, 2021, Eindrücke einer Reise nach Jordanien verarbeitet.

© Reiter Galleries/ Clemens Tremmel

Künstler Clemens Tremmel in den Reinbeckhallen: Natur mit Kratzern

Mehr Demut, mehr Stille: Clemens Tremmels Landschaftsansichten beziehen sich auf romantische Vorbilder wie Caspar David Friedrich. Und liefern trotzdem keine idealisierten Bilder. Eine Begegnung.

Hier wischt der Künstler noch selbst Staub. Clemens Tremmel ist am Tag vor seiner bisher größten Soloschau in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide noch mit dem Hängen beschäftigt. Die Hand mit dem Tuch fährt über einen Bilderahmen, wobei der Begriff Rahmen eine falsche Assoziation erzeugt.

Der Leipziger Maler, der 1988 in Eisenhüttenstadt geboren wurde, malt nicht auf Leinwand, sondern auf Aluminium. Ein glatter, schimmernder Untergrund, der sich mitunter kühl durch die aufgetragenen Farbschichten schiebt, sich aber meist nur am Rand von Tremmels Landschaften als solcher zu erkennen gibt.

Wozu die Ölmalerei auf diesem Material? Hat sich so ergeben, sagt Tremmel. Warum Landschaftsmalerei? Hat sich so ergeben, spricht erneut der Künstler und erzählt von seinen künstlerischen Experimenten an der Hochschule für bildende Künste Dresden, wo er nach allerlei Herumprobieren auf Aluminium in der Landschaft den idealen Ausdruck fand, den er seither entwickelt. Wobei der Begriff „ideal“ auch schon wieder eine falsche Assoziation weckt.

Obwohl sich Tremmel, der 2013 mit dem Preis der Caspar-David-Friedrich-Gesellschaft ausgezeichnet wurde, sichtlich an den Genrevorläufern der Romantik orientiert und die Schau den schönen Titel „The Sublime“, das Erhabene, trägt, schafft er keineswegs idealisierte Landschaften. Was da in der rohen, noch den alten Industriecharme versprühenden Eventhalle der Stiftung Reinbeckhallen hängt, mutet teils geradezu wüst an.

Einschneidende Kunst. „Das Ideal“, 2022, Clemens Tremmels selbstzerstörerische Ansicht des peruanischen Ruinenbergs Machu Picchu.
Einschneidende Kunst. „Das Ideal“, 2022, Clemens Tremmels selbstzerstörerische Ansicht des peruanischen Ruinenbergs Machu Picchu.

© Reiter Galleries/ Clemens Tremmel

Das Gemälde namens „Sakhra (3)“ etwa scheint die Erde vor dem ersten Schöpfungstag oder nach der Offenbarung des Johannes zu zeigen. Eine kochende Ursuppe mit Feuerzunge, ein Sternenhimmel, Bergmassive, Wolken, ein wie ausgerissen aus einem Stoffornament am Bildrand wirkendes, dramatisches Szenario. Der Künstler lächelt ob dieser Deutung. Erfahrungen aus einer Reise nach Jordanien seien samt Tausendundeine-Nacht-Gefühlen, Sandwüste und Nachthimmel in das Bild eingeflossen.

Der Maler ist Alleinreisender

Tremmel ist nicht nur ein Maler, er ist auch ein Reisender, ein Alleinreisender, der in den Temperaturen, Geschmäckern und Gerüchen die Erfahrung einer Landschaft sucht. Deren Weite und Geheimnis findet er weder in seiner ersten Heimat Brandenburg, noch in seiner zweiten Sachsen. „Das Elbsandsteingebirge ist mir zu kitschig“, sagt er und schüttelt sich. „Da spüre ich nichts“.

Clemens Tremmel wurde 1988 in Eisenhüttenstadt geboren und lebt in Leipzig.
Clemens Tremmel wurde 1988 in Eisenhüttenstadt geboren und lebt in Leipzig.

© Nicolas Rupcich

Anders als auf Island, in Schottland, auf den Lofoten oder im Himalaya, dem er ein gleichnamiges, großartig düsteres Gebirgsszenario widmet. Mit dynamischem Pinsel schraffierte Wolken scheinen herunter auf schneebedeckte Gipfel zu stürzen. Grauweiße Berge und umbrabraune Steinmassive übereinandergeschichtet und hinterher mit wilden Ratschern bis auf das blanke Alu zerkratzt. Die autoaggressive Kratzerei, Schneiderei und Reißerei gehört zu Tremmels Stilmitteln. Sie schaffen Distanz zum Sujet, lassen an Naturzerstörung denken, die er nicht offensiv thematisiert und sprechen in seinen Augen vom Vergehen und Werden alles Natürlichen.

Gebetsfähnchen und wuchtige Eisfelsen. Clemens Tremmels „ Himalaya“, 2018-2023.
Gebetsfähnchen und wuchtige Eisfelsen. Clemens Tremmels „ Himalaya“, 2018-2023.

© Reiter Galleries/ Clemens Tremmel

Überdeutlich wird das bei seinem Porträt des grünen Machu Picchu, in dessen Silhouette scharfkantige Löcher gähnen. „Einschneidende Kunst“, ulkt Tremmel. In der peruanischen Ruinenstadt hat er festgestellt, dass die Touristen ihr Sehnsuchtsziel nicht in Ruhe betrachten oder wenigstens konzentriert fotografieren, sondern hauptsächlich damit beschäftigt sind, sich mit dem Handy selbst vor dem Berg zu knipsen.

Einatmen ohne Auszuatmen

Das ist genau die Art von modernem Naturerlebnis, die Tremmel schaudern lässt. Er will die Sehnsucht, die er selber spürt, in seinen Gemälden auf den Betrachter übertragen. Die Erfahrung, als Mensch Teil der Natur zu sein. „Die ständige Berieselung mit Werbung, der Fortschrittsgedanke, dieses ewige Schneller, Lauter, das ständige Einatmen ohne Auszuatmen, das geht mir gehörig auf die Nerven.“

Seine Bilder sieht er als Gegenangebot. „Ich male, was ich vermisse: Werte wie Demut und ernsthaftes Mitgefühl, dazu Stille, Weite und Mystik, die nicht in Religion abrutscht.“ Tatsächlich, dieser Mann ist ein legitimer moderner Nachfahre der Romantiker.

Und ein toller Maler, dessen pastoser Farbauftrag mit dem Spachtel dicke Felsen- und Grasreliefs schafft, die förmlich aus dem Bild zu wachsen scheinen. Wolken und Gewässer sind in Bewegung, sie schwappen und schlieren.

Und die fotorealistischen, schottischen Zackenberge, deren düstere Silhouette mit dem tiefen Blick in die Landschaft ganz offensichtlich den Greifswalder Großkünstler des 19. Jahrhunderts zitieren, tragen schwer unter ihrer Aura. Tremmels Natur kann ein unwirtlicher, in Auflösung begriffener Ort sein. Unmöglich vom Menschen zähmbar, der ihr in seiner Hybris trotzdem bis in den letzten Winkel des Planeten seinen Stempel aufdrückt.

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