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Das Filasteen Young Musicians Orchestra bei seinem Auftritt am Dienstag im Boulez Saal.

© Detlev Schilke

Lichtstrahl aus einer Krisenregion: Das Filasteen Young Musicians Orchestra in Berlin

In den Palästinensergebieten gibt es nicht nur Streit, Verdrängung und Gewalt, sondern auch ein tolles neues Jugendorchester. Am Dienstag hat es sich dem Berliner Publikum vorgestellt.

Palästinenser haben oftmals keine eigene Stimme, an diesem Abend sind es gleich über zwei Dutzend – so viele Musiker und Musikerinnen auf einmal sieht man selten im eigentlich als Spielstätte für Kammermusik konzipierten Pierre Boulez Saal. Das Filasteen (= Palästina) Young Musicians Orchestra kann, nach einer pandemiebedingten Verschiebung, zum ersten Mal in Berlin auftreten, mit einem reinen Mozart-Programm und einer ausgewachsenen Symphonie am Ende eines vibrierenden, beglückenden, herzöffnenden Konzerts. 

Die jüngste Blüte

Es handelt sich bei diesem Orchester um die jüngste Blüte des länderverzweigten musikalischen Ausbildungssystems, das Daniel Barenboim und der verstorbene Edward Said in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben. Gegründet wurde es 2019 am Barenboim-Said Center for Music in Ramallah auf Initiative der Leiterin, der finnischen Cellistin Liina Leijala, mit Unterstützung des deutschen Außenministeriums. Das Orchester bietet Jugendlichen in der Westbank, für die selbst eine Stadt wie Tel Aviv unerreichbar ist, im Laufe eines achtjährigen Studiums die Möglichkeit zur professionellen musikalischen Karriere.

„In gewisser Weise stellt Musik für diese jungen Leute das Tor zu Welt dar“, sagt Dirigent Nabil Shehata, „sie haben die Hoffnung, irgendwann so gut zu spielen, dass sie ein Stipendium bekommen und zum Beispiel an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin studieren können.“ 

Und da sitzen sie jetzt und bewältigen das Streicherdivertimento D-Dur KV 136 auf hohem Niveau, klar, strukturiert, nichts ist verwaschen. Shehata – bis 2008 1. Solokontrabassist bei den Berliner Philharmonikern und Professor an der Akademie in Berlin – scheint ein sehr guter Pädagoge zu sein. Die Architektur des ovalförmigen Boulez Saals führt dazu, dass man ihn nicht nur von hinten sieht, sondern direkt sein Gesicht studieren kann. Shehata ist ein lustbetonter Orchesterleiter, bringt positive Gefühle unmittelbar zum Ausdruck, dirigiert mindestens so sehr mit Augen und Mimik wie mit dem Taktstock. 

Dirigent Nabil Shehata und Solist Milan Al-Ashhab in Mozarts 5. Violionkonzert A-Dur
Dirigent Nabil Shehata und Solist Milan Al-Ashhab in Mozarts 5. Violionkonzert A-Dur

© Detlev Schilke

Leider hat die Architektur auch Nachteile. Im 5. Violinkonzert A-Dur spielt Solist Milan Al-Ashhab im Grunde nur für einen der fünf Blöcke, nämlich für den, vor dem er unmittelbar steht. Er müsste sich auch mal umdrehen – so kann man seine Qualitäten vor allem in den Kadenzen einschätzen, wenn das Orchester schweigt. Herrlich gesanglich und erzählend ist sein Strich, fein austariert gerade in den leisen Passagen – allerdings schwankt er dabei mit dem Oberkörper irritierend umher. Nebensache, solange der Klang stimmt. 

Wirbelwindartig geht’s dann nach der Pause in schnellem Tempo direkt rein in Mozarts vorletzte Symphonie, die berühmte in g-Moll, und auch hier haut es diese jungen Musiker nie aus der Kurve. So wird der Erfolg des Barenboim-Said’schen Musikprogramms in einer von der jüngsten Geschichte nicht begünstigten Weltgegend hier unmittelbar greifbar. Diese Musik ist bedrückenden Bedingungen abgerungen.

Dass wenigstens ab und zu etwas so durch und durch Positives aus einer Region kommt, in der ansonsten Rechthaberei, Verdrängung, Hass und Gewalt an der Tagesordnung sind, macht den Abend so bemerkenswert. 

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