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Eiskalter Überfluss. William Egglestons Bild eines geöffneten Gefrierschranks entstand 1980.

© Eggleston Artistic Trust and David Zwirner

Magische Farbfotos von William Eggleston: Die Geheimnisse des Alltags

William Eggleston gilt als größter Kolorist der Fotogeschichte. Nun feiert ihn die Galerie C/O Berlin mit einer Retrospektive.

In der Herzkammer der Ausstellung hängt ein gutes Dutzend originaler „Dye transfer prints“. William Eggleston, der wohl bedeutendste Kolorist der Fotogeschichte, nutzte das kostspielige Technicolor-Verfahren, um farbintensive Abzüge herzustellen.

Nun klotzte der US-Amerikaner nicht unbedingt mit Farbe (auch sein schwarz-weißes Frühwerk ist ausgestellt). 1980 steckte er das Objektiv in ein weiß überkrustetes Gefrierfach, hellblaue und zartrosa Packungen drin, leuchtend rote Lettern steigern die arktische Anmutung.

Eggleston suchte das Gewöhnliche, in Küchen und Hotelschlafzimmern, auf Landstraßen oder Parkplätzen. Er fand das Geheimnisvolle in der amerikanischen Alltagskultur, was der 1939 in Tennessee geborene Fotograf vor allem seinem Sinn für ausgefallene Perspektiven und besondere Farbklänge verdankt.

„Mystery of the Ordinary“ ist die große Soloschau bei C/O Berlin betitelt. Erstmals überhaupt werden in einer Eggleston-Ausstellung mehrere Serien präsentiert. Sogar Fotos aus dem Westberlin der 1980er sind zu sehen: Graffiti an der Mauer, Leuchtreklamen am Ku’damm. Damit schließt sich im Amerika-Haus – zwecks kultureller Repräsentation der USA 1956/57 erbaut, heute C/O-Standort – ein Kreis.

Die Berlin-Reisen amerikanischer Fotografen wie Eggleston wurden im Kalten Krieg von der US-Regierung finanziert. Für seine Karriere war die „Frontstadt“ von Bedeutung, erklärt Kurator Felix Hoffmann: „In den 1980ern waren Fotografen wie Eggleston noch No-Names. Über den Umweg Europa wurden sie zu Helden in den USA“.

Der heute 83-jährige Fotograf ist jetzt nicht nach Berlin gekommen, aber seine Tochter Andra und sein ältester Sohn. William junior, der als Kind den Vater oft auf Fototouren begleitete, erzählt beim Presserundgang, dass dieser beim Fotografieren nie zögerte. „Manchmal hielt Dad die Kamera kurz aus dem Autofenster“, sagt William Eggleston III, „und man merkte gar nicht, dass er den Auslöser drückte.“

Für den jungen Eggleston war Henri Cartier-Bresson, der Jäger des „entscheidenden Moments“, eine prägende Figur gewesen, aber der Amerikaner umkreiste eher das Geschehen, wie um den Dingen Dauer zu verschaffen. Cartier-Bresson verdichtet die Zeit, Eggleston hebt sie aus den Angeln. Schwebend und schwerelos wirkt bei ihm die Welt. Bei ihm scheinen sogar Flipperspieler in tiefe Melancholie versunken.

Die Spielautomaten-Szene stammt aus der Serie „Los Alamos“, in der Eggleston rund 2200 zwischen 1965 und 1974 fotografierte Aufnahmen zusammenfasste. Unter der C/O-Auswahl ist auch seine allererste Farbaufnahme zu sehen – eines jungen Supermarktangestellten, der Einkaufswagen zusammenschiebt. Schon hier zeigt sich Egglestons Faible für das goldene Licht und die langen, aber aufgehellten Schatten der magic hour, der kurzen Zeitspanne vor dem Sonnenuntergang.

Den abgestellten Straßenkreuzer fotografierte Eggleston um 1972.
Den abgestellten Straßenkreuzer fotografierte Eggleston um 1972.

© Eggleston Artistic Trust and David Zwirner

Als Europa-Premiere wird die Serie „The Outlands“ gezeigt: bisher unveröffentlichtes Material, das erstmals Ende 2022 in der New Yorker Galerie David Zwirner präsentiert wurde. Gemeinsam mit Sohn William hatte der Pionier der „New Color Photography“ elf Jahre lang Abertausende von Kodachrome-Dias aus seinem Archiv gesichtet und etwa 400 davon für die Neuveröffentlichung ausgewählt.

Die Fotos stammen aus jener Zeitspanne zwischen 1969 und 1974, in der Eggleston in seiner Heimatstadt Memphis und bis herunter zum Mississippi-Delta Aufnahmen machte, die dann 1976 im New Yorker Museum of Modern Art in einer bahnbrechenden Ausstellung gezeigt wurden.

Faktisch mögen die bei C/O als großformatige Drucke präsentierten „Outlands“ aus outtakes bestehen, ästhetisch sind sie echte Egglestons. Verlorene und wiedergefundene Zeit. Traumfarben. Einfach magisch.

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