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Die Zeit läuft. Angela Merkel wartet auf Staatsgäste.

© REUTERS/Hanschke

Kanzlerin lobt Kulturvielfalt: Merkel und die Dichter

Bundeskultur-Festakt im Humboldt Forum: 20 Jahre Kultur im Kanzleramt

Im April hat Angela Merkel den französischen Staatspräsidenten Macron über die Baustelle des Humboldt Forums geführt. Es ist das größte und ambitionierteste Kulturvorhaben der Bundesrepublik, seine Dimensionen erinnern an die grands projets in Paris. Jetzt ist es Ende Oktober, die Lage in Europa verdunkelt sich – auch weil die Bundeskanzlerin ihren Rückzug aus der Politik angekündigt hat. Nicht sofort, aber es wird sie schwächen. Europa und Macron ohne Merkel: nicht gut.

Aber an diesem Montagabend in der riesig hohen Eingangshalle des Humboldt Forums wirkt Angela Merkel sehr aufgeräumt und gut gelaunt. Sie hält, nicht ohne Humor, eine klare, engagierte Festrede zu „20 Jahre BKM“. So lange gibt es die Kulturstaatsministerin (oder den Kulturstaatsminister) im Kanzleramt. Da stellt sich die Frage: Wird Merkel die Einweihung des Humboldt Forums noch im Amt erleben?

Ende 2019 sollen sich die Tore dort öffnen. Wenn es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt. Wer weiß das schon? Und wer kann schon sagen, wann sich Merkels angekündigter Rückzug tatsächlich vollendet? 600 Gäste sind gekommen. Die Kanzlerin sagt Sätze, die immer weniger Politiker auf der Welt im Ernst so sagen. Dass die Freiheit der Kunst und der Medien ein Wert an sich und kulturelle Vielfalt ein Treiber des Fortschritts ist. Dass es im Kulturbereich viel zu wenig Frauen in Leitungspositionen gibt. Dass wir überall für Demokratie und Frieden eintreten müssen. Sie nennt Deutschland eine „historisch gewachsene europäische Kulturnation“. Merkel zeigt sich fasziniert von Alexander von Humboldt, seiner unstillbaren Neugier, seinem frühen Verständnis globaler Zusammenhänge.

Max Raabe spielt auf

Monika Grütters, die Parteifreundin und Kulturstaatsministerin, dankt für die Rückendeckung aus dem Kanzleramt und aus dem Bundestag, parteiübergreifend. Grütters erklärt, was im Saal Konsens ist, aber „draußen im Lande“, wie Helmut Kohl sich auszudrücken pflegte, mancherorts unter Beschuss kommt: „Wir brauchen unsere kulturelle Vielfalt, in der sich auch sperrige, unbequeme, provozierende und irritierende Positionen in Freiheit entfalten können. Diese Vielfalt ist das Beste, was wir populistischer Einfalt entgegensetzen können.“

Seltsam: Max Raabe und das Palast Orchester spielen, amüsant-süffisant, Hits aus den Zwanzigern, ohne die es gerade gar nicht geht. Auch der Journalist Volker Weidermann spekuliert in seinen „Gedanken zum Jubiläum“ auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. In seinem Buch „Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen“ erzählt er von den kurzen Monaten der Münchner Räterepublik, von Kurt Eisner und Ernst Toller. Er schlägt den Bogen zu Günter Grass, der „seinen Kanzler“ Willy Brandt mit den großen und richtigen Narrativen fütterte. Politik braucht Utopie, Politiker, sagt Weidermann, sind angewiesen auf die verrückten Dichter.

Der Kanzlerin hat Weidermann ein Buch mitgebracht, „Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten“ von Jonas Jonasson, mit einer Widmung für Angela Merkel: „Bitte retten Sie die Welt“. In dem Roman des Schweden kann sie es. So klaffen Fiktion und Wirklichkeit, inländische und auswärtige Wahrnehmung dieser Politikerin auseinander. Der traditionell linke Kulturbetrieb hat schon begonnen mit dem Merkel-Vermissen.

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