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Der aus Mozambique stammende Schriftsteller Mia Couto

© dpa/EFE/Alejandro Garcia

Mia Coutos Roman „Der Kartograf des Vergessens“: Die Last der Toten gerecht verteilen

Der aus Mozambique stammende Schriftsteller erzählt in seinem neuen Roman vom Kampf seines Heimatlandes gegen die portugiesische Kolonialherrschaft.

Manche mussten vergessen, was war, um Zukunft zu ermöglichen. Für andere war das, was geschah, schon Zukunft, führt Mia Couto seinen neuen Roman „Der Kartograf des Vergessens“ ein. Um dieses Verhältnis von Erinnern und Vergessen dreht sich die Geschichte des Ich-Erzählers Diogo Santiago, der sich im Jahre 2019 aufmacht, um in Beira nach seiner vergessenen Kindheit zu fahnden.

Dort trifft er auf Liana Campos, die Enkelin des ehemaligen Geheimdienst-Chefs PIDE in Beira, die ihm Dokumente aus der Zeit um 1973 übergibt. Es ist das Jahr des großen Massakers von Inhaminga, bei dem über Monate hinweg über 3.000 Menschen erschossen oder in einem unterirdischen Gefängnis lebendig begraben wurden.

Diese Phase des Kampfes Mosambiks gegen die portugiesische Kolonialherrschaft ist für den ebenfalls aus Beira stammenden Autor der historische Ausgangspunkt für mehrere Familiengeschichten. Im Mittelpunkt stehen neben Diogo dessen Schriftstellervater Adriano Santiago, seine Mutter Virgínia und dem 1973 in Inhaminga spurlos verschwundenen Cousin Sandro.

Komplizierte Geschichten

Liana wiederum forscht nach ihrer rätselhaften Mutter Almalinda, die mit ihrem schwarzen Geliebten zusammengekettet in den Fluss sprang, gerettet wurde und dann ebenfalls verschwand. Und da gibt es die Geschichte von Diogos Kinderfreund Benedito, der bei den Santiagos als schwarzer Hausboy beschäftigt war, und dessen Familie ebenfalls in die Ereignisse in Inhaminga verwickelt ist.

Couto erzählt diese kompliziert miteinander verflochtenen Geschichten und nur allmählich entzifferbaren Geschichten auf zwei Zeitebenen, der Zeit um 1973 und der Gegenwart von 2019, als Beira gerade den verheerenden Zyklon Idai, der die gesamte Stadt verwüstet, erwartet.

Die dokumentierten Geheimdienstberichte und Briefe von Óscar Campos, aber auch von Agenten des PID, die Briefe der Eltern und anderes bilden den Erzählkörper der Zeit des Unabhängigkeitskriegs, mittels dem sich die damaligen Ereignisse rekonstruieren lassen. Schon in früheren Romanen praktizierte Couto dieses dokumentarische Verfahren, um eine möglichst polyperspektivisch-vielstimmige Unmittelbarkeit zu erzeugen.

In der Gegenwart suchen Diogo und Liana zusammen mit Benedito nach Zeugen, die das Schicksal von Sandro und Almalinda aufklären helfen könnten. Dass sie dabei eher Phantasmen nachjagen, stellt sich mit fortschreitender Suche heraus: „Mir sind keine Erinnerungen geblieben, ich habe nur Träume», führte sich Diogo schon zu Beginn bei Liana ein. «Ich bin Erfinder von Vergessenem.»

Dennoch treffen sie bei ihren Nachforschungen auf die mythische Welt Mosambiks, die Couto in bildstarkem Gleiten zwischen Realität und Magie einfängt, etwa wenn von den Geistern, die im Uniformstoff der Soldaten hausen, die Rede ist oder von den magischen „heißen“ Buchstaben eines Namens, die niemand berühren dürfe.

Doch im Zentrum des Romans steht der unterschiedliche Umgang mit der schmerzhaften Vergangenheit. Der Befreiungskampf, den die Portugiesen sogar mit einer „Wassermauer“, dem legendären Cabora Bassa-Staudamm, aufhalten wollten, führte in Mosambik in einen langen traumatischen Bürgerkrieg, dessen Wunden sich erst allmählich schließen. In Inhamenga etwa wurde 2019 ein Denkmal zu Ehren der damaligen Opfer eingeweiht.

Die Geschichte, die Couto erzählt, ist ein anderer Weg einer solchen Heilung, denn sie offenbart, wie tief sich das koloniale Erbe in die Menschen und die sozialen Beziehungen eingegraben hat. Es gehe darum, die Last der verstorbenen zu teilen, meint Beneditos Mutter Maniara. „Es ist ungerecht“, so dagegen Liana, „eine Vergangenheit zu erben. Als würde uns die Zeit an den Füßen festgebunden.“ Und Benedito ist überzeugt, es sei besser zu vergessen, während Diogo besessen davon ist, sich zu erinnern.

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