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Das Zafraan Ensemble arbeitet bei seinen Expeditionen ins Zeitgenössische und in ferne Welten gerne mit Gästen zusammen.

© Anton Tal

Neue Musik goes Fernost: Alles schwingt, alles schwebt

Uraufführungen, seltene Saiteninstrumente und virtuose Tabla-Solos: Das Berliner Zafraan Ensemble gastiert mit indischen Musikern im Kammermusiksaal.

Beim Nachstimmen seines Trommelpaars nutzt er einen Hammer, dreht die kleinere Tabla dabei langsam im Kreis – und schon legt er los. Ein paar Schläge mit dem Handrücken, erste Fingerklöpfeleien, ein ostinat anmutender Rhythmus, der zunehmend virtuos umspielt wird, schließlich Verwirbelungen, irrwitziges Fingerdribblings, heitere Ekstase, und Stopp: Aneesh Pradhan ist einer der großen Tabla-Meister aus Indien.

Gewöhnlich begleitet die Tabla den Gesang, Pradhan hat längst als Soloperkussionist einen Namen, diesmal grundiert mit den Borduntönen von Sudhir Nayaks indischem Harmonium.  

Das Berliner Zafraan-Ensemble hat die beiden sowie zwei weitere Gäste aus der nordindischen Hindustan-Region für eine konzertierte Aktion in den Kammermusiksaal eingeladen. So macht die zehnköpfige, international besetzte Gruppe es immer. Für ihre Programme sucht sie sich Partner aus nahen und fernen Musikwelten, kooperiert mit Performern, Tanz- und Theaterleuten, zuletzt etwa beim „Match Cut Festival“ in der Volksbühne, bei Projekten mit der Akademie für Alte Musik oder mit Rimini Protokoll.

Eröffnet wird der Abend von Mohi Bahauddin Dagar auf der selten gespielten Rudra Vina, einem fast ausgestorbenen, imposanten Saiteninstrument mit langem, bundiertem Resonanzrohr zwischen bauchigen Kürbiskalebassen. Wieder ein Bordunton, das Gis, auch auf der begleitenden Tanpura, einer Langhalslaute. Mit den Fingernägeln zupft Dagar zarte melodische Improvisationen. Es handelt sich zum eine Raga zur Nacht – Ragas basieren auf je nach Stimmung und Tageszeit wechselnden Tonskalen –, eine Meditation und Expedition ins Innere der Klänge, man gerät schnell in Trance. Alles schwebt, alles schwingt: Die indische Community im Saal – darunter der vom Petersberger Klimadialog im Auswärtigen Amt herbeigeeilte indische Umwelt- und Klimaschutzminister Bhupender Yadav – applaudiert enthusiastisch.

Mohi Bahauddin Dagar ist einer der weltweit wenigen Musiker, die das Spiel auf der uralten Rudra Vina beherrschen.
Mohi Bahauddin Dagar ist einer der weltweit wenigen Musiker, die das Spiel auf der uralten Rudra Vina beherrschen.

© Anton Tal

Das auf zeitgenössische Musik spezialisierte Zafraan Ensemble schließt die Uraufführung zweier filigraner Werke des Tanpura-Spielers Uday Krishnakumar an, „Of Hiding“ und „Interior, second courtyard“ für Clavichord solo. Mehr getupft als gestrichen, mehr gehaucht als geblasen, die Tasten mehr berührt als gedrückt: eine Hommage ans Amorphe, faserige Aquarellskizzen, zerfließende Klangfarben. Krisnhakumar renaturiert gewissermaßen die abendländische Musik, aber spätestens das in die Unhörbarkeit davondriftende Clavichord-Solo vermag das Publikum nicht mehr zu bannen. Auch die Aufkündigung zielgerichteter Strukturen braucht eine Form.

Wer in der Pause geht, verpasst jedoch das Beste. Nicht nur die Fabulierfreude von Aneesh Pradhan (zur Tabla-Tradition gehört auch der virtuose Silbensingsang), sondern obendrein zwei von Victor Aviat dirigierte, ungemein belebende Ensemblewerke des Komponisten Stefan Keller.

In „Soma oder Die Lust am Fallenlassen“ für Streicher, Bläser, Harfe, Klavier und Schlagzeug amalgamiert er Jazz-Versatzstücke, Trommel-Impros, Großstadt-Kakophonie und synkopisch verdichtete Tanzepisoden. „Entangled Strands“, die dritte Uraufführung des Abends, ist Kellers Tabla-Lehrer Pradhan gewidmet, einträchtig sitzen der indische Meister und sein sichtlich noch lernender Schweizer Schüler auf dem Podest nebeneinander.

Keller verwebt Fernöstliches und Westliches zur schlüssigen Textur, eine friedliche Kollision, die ungeahnte Energien freisetzt. So lädt er zum Spiel ohne Grenzen. Großartig, wie die Klarinette bei ihrer Kantilene von der Tabla aufgescheucht wird oder wie sich Aneesh Pradas Trommelpaar mit den Bongos des europäischen Schlagzeugkollegen einen fröhlichen Wettstreit liefert.  

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