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Drifter von Hannes Hirsch, mit Gustav Schmidt, Lorenz Hochhuth in der Sektion: Panorama 2023

© Salzgeber

Queeres Kino aus der Hauptstadt: „Drifter“ und „Knochen und Namen“ auf der Berlinale

Hannes Hirsch folgt einem jungen Neu-Berliner in die schwule Clubszene und Fabian Stumm einem mittelalten Männerpaar in der Krise.

„Schön, dass du nach Berlin gekommen ist“, sagt Jonas zu seinem Freund Moritz nach dem Blowjob. Kurz danach möchte er doch kein Beziehungstyp sein und lieber allein wohnen. Moritz muss sein Ankommen in Berlin neu bewerten. Die Stadt rauscht vor lauter Leben, die Szene öffnet sich für den 22-Jährigen verheißungsvoll, noch vor dem Studienanfang kann ein neues Leben beginnen.

So oder ähnlich fangen viele Berlin-Filme an. Das vertraute Entwicklungsnarrativ liegt allerdings nicht im Fokus von „Drifter“. Vielmehr verdichtet der Debütfilm von Hannes Hirsch aus beiläufigen, aber präzise gesetzten Beobachtungen ein Szene-, Zeit- und Stadtporträt zugleich, das man so noch nicht gesehen hat. Moritz‘ titelgebendes Driften wird nicht durch forcierte Konflikte ausgelöst, es ist ein offener Transformationsprozess, der immer auf die Angst vor Einsamkeit und Auflösung bezogen bleibt.

Der mitgebrachte heteronormativ erzogene Körper verändert sich im Lauf des Films nach unausgesprochenen Szenenormen, nach den Tränen im Hostel folgt der Schweiß im Sportstudio, beim Gemeinschaftsgefühl helfen die anfangs noch zurückgewiesenen Drogen, der Blick darauf ist aber nicht wertend, sondern bleibt neugierig und scharf.

Unter der Partymusik liegt ein kunstvoller Soundtrack aus Alltagsgeräuschen, die vom Zusammenleben vieler Menschen an einem Ort erzählen und hier an eine spezifisch schwule Erfahrung des Zusammen-Alleine-Seins angelegt ist. In vielen Details, vor allem in seinem Berlin-Bild, dem eine vorstrukturierte Behaglichkeit abgeht, hat „Drifter“ den Vibe der frühen Filme von Thomas Arslan, die als Referenzfilme der Berliner Schule gelten.

Auch in ihnen geht es um den „Minderheiten-Stress“, mit dem sich seine postmigrantischen Figuren durch ihre Stadt bewegen, den Michael Hobbes in seinem Text über „schwule Einsamkeit“ 2017 aber auch als Wahrnehmungsmodus markiert hat, der Nicht-Heterosexuelle auch nach dem Coming-Out, in den Safe Spaces und ohne direkte Diskriminierung vertraut bleibt. In „Drifter“ werden Gewalterfahrungen in Fetisch-Rollenspiele umgewandelt, entstehen neue Normen der Zugehörigkeit, passen die bürgerlichen Angebote nicht.

Wie es vielleicht mit jemandem wie Moritz in Berlin weitergehen könnte, erzählt ein anderer Film auf der Berlinale. In „Knochen und Namen“ (Perspektive Deutsches Kino) steht ein Männerpaar in den 40ern im Zentrum, das sich bürgerlich in Wohnräumen zwischen weiß und pastellblau eingerichtet hat und seine Sehnsucht nach Veränderung in die künstlerische Arbeit projiziert.

Regisseur Fabian Stumm spielt selbst einen Schauspieler, der sich eine Figur erarbeitet, die sich auf ein Abenteuer mit einem jüngeren Mann einlässt, während sein Partner an einem Roman arbeitet, in dem es um Tod, Ausbruch und Neuanfang geht. In fixierten, leicht schrägen Einstellungen und entsättigten Farben, die sowohl abstrakt, als auch milieuspezifisch zu lesen sind, geht die experimentell gefundene Form des Zusammenseins nur scheinbar gesellschaftlich auf.

In beiden Filmen sitzt fast alles, die lakonischen Dialoge, der Witz, die mal mitbewegte, mal verrutschte Kamera, ein Schauspiel, das offensichtlich auf eigenen Beobachtungen und Szene-Wissen aufbaut. Vor allem „Drifter“ macht deutlich, welcher Perspektivreichtum entsteht, wenn Filme über die queere Szene aus der Szene selbst kommen und sich keinem diffus vorgestellten „Mainstream“ vermitteln wollen.

Dazu passt vielleicht, dass beide Werke ohne Fernsehsender und Filmförderung entstanden sind. Man muss davon ausgehen, dass sie als Nischenprojekte identifiziert wurden, die kein breiteres Publikum interessieren. Allerdings wirkt die institutionelle Rhetorik der Selbstverpflichtung auf Diversität dabei ziemlich schal.

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