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Bier, Spiele, manchmal Rauch. Wer an Kneipenquiz teilnimmt, muss kein cooler Szenegänger sein, wie dieses Foto zeigt. Eine gewisse Schmerzfreiheit, gepaart mit etwas Allgemeinbildung, kann derweil nicht schaden.

© picture-alliance/ dpa

Selbstversuch: Kneipenquiz: Handys aus, Kopf an

Wie viele Kakteen stehen in der Sahara? Wer war Langri der Lahme? Und warum eigentlich ist Kneipenquiz so beliebt? Ein Selbstversuch.

In der dritten Fragerunde verlieren wir endgültig den Anschluss: Das Team „Mordsalarm“ zieht uneinholbar davon, die „Guns of Görlitz“ sitzen uns im Nacken. Plötzlich ist sogar Platz 2 in Gefahr, „eine Blamage“, stöhnt Freund S. und pustet einen Schwall Rauch in den düsteren Kneipenraum des Kreuzberger „Intertank“, einer liebenswerten Punker-Spelunke, die hier in der Manteuffelstraße seit nunmehr ziemlich genau 25 Jahren der Gentrifizierung trotzt.

Aber da hilft die geballte am Biertisch versammelte Allgemeinbildung nichts: Wir, die sechs „Bommiboys“, wissen an diesem Kneipenquizabend zu Vieles einfach nicht. Wir wissen nicht, wie die erste Decodiervorrichtung zur nazideutschen Verschlüsselungsmaschine „Enigma“ heißt. „M1“, mutmaßt S., aber das sei auch „nur abgeleitet“. Und wir wissen nicht, „in welchem Comic“ Langri der Lahme eine Rolle spielt. Vielleicht hätten wir hier eine Chance gehabt, wenn das Frageteam nicht nach einem Comic gefragt hätte, sondern – korrekterweise – nach der Disney-Adaption eines Romanstoffs. Vielleicht wären wir auf das gekommen, was uns bei der Auflösung am Ende der Runde - nachdem die Antwortzettel eingesammelt wurden - ein vielstimmiges „Achverdammt“ entlockt: auf Shere Khan, den Tiger aus Kiplings „Dschungelbuch“.

Aber das ist eben eines der Risiken beim Kneipenquiz, das hier im „Intertank“ seit bald zehn Jahren zelebriert wird: dass die Fragen schlecht oder schlecht gestellt sind. Und dass die Fragensteller, in diesem Fall ein gemischtes Doppel mit dezent angejahrtem Sponti- Appeal, über ein Mikro von der Theke aus denkbar unsouverän durch den in fünf Blöcke à zehn Fragen gestaffelten Abend führen. Stotternd, stammelnd, die eigenen Fragen falsch wiederholend und immer wieder in Diskussionen mit protestierenden Teams verwickelt.

Aber wir haben uns dafür entschieden, wir wollten das so, wollten nicht auf der Couch bei „Wer wird Millionär?“ mitraten oder am Esstisch „Trivial Pursuit“ spielen. Jetzt sitzen wir hier, im Dunkel der Kneipe, in der selbst Rauchern manchmal die Augen tränen, und haben nach drei von fünf Runden nur etwas mehr als zehn von 30 möglichen Punkten. „Das wird nichts mehr“, sagt S., sonst nahezu unerschütterlich im Glauben an die eigenen Fähigkeiten. „Die Fragen sind aber auch Wahnsinn“, ergänzt L.

Die wirklich entscheidende Frage, der wir hier auf den Grund gehen wollen, ist freilich eine andere: Warum ist Kneipen- und Pubquiz so beliebt? Warum spuckt die Google-Suche für „Kneipenquiz Berlin“ Adresse um Adresse aus? Warum nahm selbst Prinz Harry, der ja nun wirklich jede Zerstreuung dieser Welt haben kann, zwei Tage vor unserem Rateabend an einem Pubquiz im südenglischen Newquay teil, wie BBC News berichtet? Wofür das alles, wenn es, bei zumeist einem Euro (oder – im Mutterland Prinz Harrys und des Pubquiz – einem Pfund) Einsatz pro Mitspieler, fast nichts zu holen gibt? Im „Intertank“ etwa bekommt das Gewinnerteam eine Flasche Tequila. Wofür das alles, wo hier doch nur unnützes Spezialwissen abgefragt wird – traditionell ohne eine Auswahl möglicher Antworten? Was soll dieses enervierende Stochern im Dunkeln – in Zeiten, in denen jeder die Fragen mit ein paar Klicks beantworten könnte?

Die Nischenhaftigkeit der Fragen erscheint uns unfair

Dass wir Fragen, die in ihrer Nischenhaftigkeit nur unter Zuhilfenahme moderner Online-Nachschlagewerke entwickelt worden sein können, ohne ebensolche beantworten müssen, erscheint uns irgendwann nur noch unfair. „Niemand kommt normal auf so einen Scheiß“, verweigert P. die Beantwortung der Frage, wann und wo in Deutschland der erste Ikea eröffnete (1974, München). Und in der Tat mag man es den Quizmastern nicht wirklich zutrauen, dass das von ihnen abgeprüfte Wissen um die Anzahl der Kakteen in der Sahara (0), die Anzahl der deutschen Worte mit zwei „pf“ (1, „Pfropf“) und die deutschen Bezeichnungen von Mondkratern tatsächlich so auf der internen Festplatte zu haben.

Die Frage bleibt da natürlich, ob sie das auch wirklich müssen. „Günther Jauch weiß ja auch nicht ...“ beginnt J. einen Satz und muss ihn gar nicht zu Ende führen, zu selbstverständlich ist das. Trotzdem: „It’s hard to make a good quiz“ – gerade an diesem Abend muss man der Engländerin am Nebentisch recht geben. Die Grenze zwischen „unlösbar“ und „zu einfach“ scheint schwer zu finden.

Ein paarmal stöhnen auch wir unterfordert auf: Dass die „zurückgetretene“ (übrigens falsch, sie amtiert noch) Bundesgeschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband heißt – für uns keine Herausforderung. Und dass die unbefleckte Empfängnis nichts mit einem ausgebliebenen Geschlechtsakt, sondern mit der Befreiung Marias von der Erbsünde zu tun hat – mit einer Diplomtheologin am Tisch kein Thema. Dass just diese Fragen andere der sieben Teams aufstöhnen lassen, dass die Fragensteller generell keine Balance finden, die das von ihnen Erfragte relevant und von allgemeinem Interesse erscheinen lässt, mag auch daran liegen, dass – im Gegensatz zu anderen Quiz, die Woche für Woche mit ein und demselben Spielleiter arbeiten – das „Intertank“ auf die Innovationskraft eines Staffelsystems setzt. Quizmaster bei dem allsamstäglich ab ungefähr 21 Uhr stattfindenden Quiz sind immer die Sieger der Vorwoche. „An sich eine schöne Idee, aber in der Praxis doch eher ein Nerd-Highway to Hell“, konstatiert Nerd-Experte O. Recht hat er: Menschen, die ein unlösbares Quiz gewinnen, sind nicht unbedingt die besten Kandidaten, in der Folgewoche ein besseres auf die Beine zu stellen.

Dass wir dennoch wiederkommen wollen – nicht in den nächsten Wochen, aber irgendwann mal – hat denn auch Gründe, die nur mittelbar mit dem eigentlichen Ziel des Spiels zu tun haben: „Wie angenehm das war“, sage ich zu L., während wir durch den Schnee zum Görlitzer Bahnhof stapfen, „dass da mal nicht ständig mit Handys rumgedaddelt wurde.“ In der Tat schafft das Lauterkeitsgebot des Quiz eine angenehm anachronistische Atmosphäre: Die sonst in der Stadt und selbst hier im „Intertank“ omnipräsenten Smartphones bleiben für drei Stunden in den Taschen. Die eigene Ehre und die scheelen Blicke von den Nebentischen gebieten absolute Ehrlichkeit. Da muss dann auch der Facebook-Status mal ein paar Stunden ohne Update bleiben – denn wer weiß schon, ob da nur „Bin grad beim Kneipenquiz“ geschrieben oder mit dem nächstmöglichen Ikea-Experten gechattet wird.

Der Rückfall in Zeiten, in denen Wissen noch einen Wert hatte und Kommunikation noch nicht immer und überall computerunterstützt war, macht auch deshalb Spaß, weil er zu einer sensiblen Mediennutzung zwingt. „Wir haben uns mal wieder richtig unterhalten“, sage ich zu L.. „Nicht immer nur so: Kennste das schon – und dann das Gerät hinhalten!“ Dass uns die „Guns of Görlitz“ nach erfolgreichem Protest gegen eine Wertung in der letzten Runde noch abgefangen haben, und dass das so nicht passiert wäre, wenn wir tatsächlich gewusst hätten, dass der polnische Geheimdienst das deutsche Enigma mit dem „Bomber“ entschlüsselte – geschenkt.

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