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Vicky Krieps beim Fotocall zu „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ in Berlin im Hyatt am Potsdamer Platz.

© dpa/Philipp Znidar

Spielen ist Loslassen : Vicky Krieps als Ingeborg Bachmann auf der Berlinale

Ihre Weltkarriere begann mit „Am seidenen Faden“. Inzwischen hat Vicky Krieps auch Popstars wie Kaiserin Sisi und die österreichische Schriftstellerin verkörpert. Eine Begegnung.

Der Raum nimmt eine andere Temperatur an, wenn sie spricht. Das hat man jetzt nicht so oft bei Berlinale-Pressekonferenzen. Schon gar nicht, weil ein poetischer Ton angeschlagen wird. Aber genauso kommt es gleich mehrfach, als Vicky Krieps, die Hauptdarstellerin in Margarethe von Trottas Wettbewerbsfilm „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, redet.

Es passiert, als sie über die Wüste sinniert, in die sich ihre Figur Ingeborg Bachmann nach der gescheiterten Liebe zu Max Frisch flüchtet. „Die Wüste steht für die Sehnsucht nach Leere und Stille,“ sagt Krieps. „Den Punkt, den ich oft selber suche im Leben, weil ich schon als Kind skeptisch gegenüber dem Zirkus gewesen bin, den die Menschen so veranstalten. In der Stille ist es leichter, an Utopien zu glauben.“ Stille herrscht auch im Saal im Hyatt am Potsdamer Platz, der im Festivalzeremoniell hinter dem roten Teppich sonst Rang zwei als Jahrmarkt der Eitelkeiten einnimmt.

Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) in Margarethe von Trottas „Reise in die Wüste“.
Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) in Margarethe von Trottas „Reise in die Wüste“.

© Alamode Film/Wolfgang Ennenbach

Und als Krieps dann einige Minuten später sagt „Die Melancholie hat viel damit zu tun, dass man am Fenster seiner Seele sitzt und denkt, ich glaube an den Frieden, das Gute, ans Licht, und doch in eine dunkle Welt hinausschaut“ da ist man endgültig versucht, die Schauspielerin für die Inkarnation einer der bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts zu halten. Obwohl Krieps’ matt metallisches, leicht angerautes Timbre weder über die Strenge, noch die österreichische Stimmfarbe des Originals von Ingeborg Bachmann verfügt.

Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) und Max Frisch (Ronald Zehrfeld) in einem Pariser Bistro.
Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) und Max Frisch (Ronald Zehrfeld) in einem Pariser Bistro.

© Alamode Film/Wolfgang Ennenbach

Tags darauf, beim Interview in einem anderen Festivalhotel, das vor Branchenbetriebsamkeit nur so brodelt, sieht die vom Podium in einen Konferenzraum herabgestiegene Schauspielerin Vicky Krieps ganz nach sich selber aus. Über das Handy gebeugt, tippt sie noch schnell eine Nachricht. Der rosa Wollpullover lässt ihren Alabasterteint noch weißer erscheinen. Im Bachmann-Film wie im Leben trägt sie wenig Schminke. Und dass die mit Terminen wie diesem einhergehende Verkaufe eines Films für Krieps die eigentliche Strapaze am Filmemachen bedeutet, ist ein weiterer sympathischer Zug an ihr.

Geboren wurde sie 1983 in Luxemburg, dort wächst man mehrsprachig auf. Schauspiel hat Krieps an der Hochschule der Künste in Zürich studiert, heute lebt sie mit ihrer Familie in Berlin. Sie habe auch Kinder, ein Alltagsleben, sagt sie an einer Stelle des Gesprächs. Als gelte es zu betonen, dass auch sie, die im vergangenen Jahr für ihre moderne Interpretation der Kaiserin Sisi in Marie Kreutzers „Corsage“ mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde und zugleich mit dem feinnervigen Krankheitsdrama „Mehr denn je“ von Emily Atef im Kino zu sehen war, nicht das ganze Leben der Darstellkunst widmet kann.

Ein Eindruck, der leicht entsteht, schaut man sich nur ihre Rollenpräsenz seit 2017 an, als Vicky Krieps mit „Der seidene Faden“ von Paul Thomas Anderson endgültig die internationale Bühne betritt. Als erst schüchtern rotwangige, dann überraschend forsche Kellnerin, die dem exzentrischen Daniel Day-Lewis in der Rolle eines dominanten Modeschöpfers in jeder Hinsicht Paroli bietet. Ihre zugleich durchscheinende und unergründliche Mimik ist Krieps’ schauspielerisches Kapital, mit der sie auch die Liebestragödie des labilen literarischen Popstars Ingeborg Bachmann trägt.

Die Schriftstellerin ist für Vicky Krieps eine der größten Denkerinnen ihrer Zeit. Viele ihrer Texte seien sehr philosophisch. Und in ihrem Rollenwust sei es wichtig und toll, eine Denkerin zu spielen. „Die kommen im Gegensatz zu Superhelden, Königinnen und Gangstern sehr viel seltener im Kino vor.“ Das sei es auch, was sich an der Bachmann-Rolle heute zu erzählen lohne. „Das Denken“, sagt Krieps. „Ich glaube, wir verlernen zu denken, weil wir die ganze Zeit reden, ohne etwas zu sagen mit den digitalen Kommunikationsmitteln. Und wir verlernen das Reden. Die Sprache wird reduzierter und das wirkt sich im Umkehrschluss auch wieder aufs Denken aus.“

Man kann der Realität durch Wörter entfliehen.

Schauspielerin Vicky Krieps

Dass Wörter verdammen und erlösen können, hat die Schauspielerin begriffen, lange bevor sie mit Ingeborg Bachmanns Sprachempfinden konfrontiert war. In der Schule, wo sie zum ersten Mal ein Gedicht liest: „Le dormeur du val“ von Arthur Rimbaud. „Da habe ich verstanden, dass es die Möglichkeit gibt, der Realität durch Wörter zu entfliehen, was letztlich dazu führte, dass ich jetzt Schauspielerin bin.“ Aber auch, weil sie die Schule als Ort des Misstrauens gegenüber der Sprache und der Konfrontation mit gesellschaftlichen Abmachungen erlebt, die sich für sie anfühlen wie ein Theaterstück. „Mir kam das dort falsch vor, wie eine Lüge.“

Naturalistisch spielen, nicht den Duktus einer historischen Figur annehmen, nicht imitieren, das ist Vicky Krieps’ Credo, wie man ihrer heutigen Elisabeth von Österreich-Ungarn in „Corsage“ gut ansehen konnte. „Diese Frechheit besitze ich“, sagt sie und lacht. Weil Margarethe von Trotta aber viele Dialoge ihres Bachmann-Films aus Originaltexten, etwa Briefen, übernahm und „ich den Text nicht einfach verändern konnte, wie ich das sonst gern mache“ klingt sie Bachmannscher als man das sonst von ihr erwartet.

Eine feministische Lesart dieser Rolle wie auch der von Sisi oder der Fliegerin Elly Beinhorn, die Krieps auch schon verkörperte, zu pflegen, ist für sie selbstverständlich. Deswegen arbeite sie auch gern mit Frauen und ungern mit einer bestimmten Sorte älterer Regisseure. Manchmal käme man in der Filmbranche noch in Kontakt mit Männern einer gewissen Generation, die sich hinstellten und glaubten, es zähle wie sie Frauen sehen. „Mir geht es darum, dass sich Frauen selber erkennen müssen, sich gegenseitig sehen und verstehen, um weiterzukommen.“

Glaubt man Krieps, herrscht am Set von Regisseurinnen wie Emily Atef oder Marie Kreutzer „eine Feinheit, da wird nicht herumgeschrien“. Anders als sie das kürzlich erst bei einer französischen Produktion erlebt hat, wo sie aus Neugier auf eine Musketier-Verfilmung nach Alexandre Dumas mitspielte. „Da war jeder Drehtag wie ein Rugby-Spiel.“ Das war nichts für sie. Menschen darstellen, besser Seelen ergründen, das will Vicky Krieps weiterhin. Spielen heißt für sie Loslassen, sagt sie. Wie ein Kind, dass nach dem Erledigen der Hausarbeiten befreit hinaus in den Garten rennt.

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