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https://strikegermany.org/

© strikegermany.org/PR

Überzogen, grotesk, alarmierend : „Strike Germany“ ruft zum Boykott im Kulturbetrieb auf

Die Kampagne „Strike Germany“ will öffentlich geförderte Institutionen abstrafen, weil dort Solidarität mit Palästina unterdrückt werde. Ein absurdes Spiel, findet unsere Autorin.

Ein Kommentar von Nicola Kuhn

Es ist die nächste Runde in einer verfahrenen Debatte, wie sich Künstlerinnen und Künstler, der gesamte Kulturbetrieb zum Nahost-Konflikt verhalten sollen. Die in dieser Woche online gegangene anonyme Website StrikeGermany.org ruft internationale Kulturschaffende allen Ernstes zu einem Boykott öffentlich geförderter Institutionen in Deutschland auf, da in der Bundesrepublik durch McCarthyistische Maßnahmen die freie Meinungsäußerung, insbesondere die Solidarität mit Palästina eingeschränkt werde.

Ähnlich wie bei der Israel geltenden Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) soll die Teilnahme an Festivals, Panels und Ausstellungen ausgesetzt werden, bis „das deutsche Embargo gegen internationalistische Solidarität“ aufgehoben sei. Die auf der Website dargestellten Verhältnisse im deutschen Kulturbetrieb sind absurd.

Demnach soll eine reaktionäre Welle über den Kultursektor und Wissenschaft hereingebrochen sein, die zu einer Reihe Entlassungen, Absagen, öffentlichem Doxxing und offener Zensur geführt habe.

Dass hierzulande eine heftige Auseinandersetzung darüber tobt, wie mit Antisemitismus umzugehen sei und etwa die vom Berliner Kultursenator Chialo eingeführte Klausel öffentlich scharf kritisiert wird, bleibt unerwähnt. Kritik am israelischen Staat, wie die Website behauptet, wird keineswegs zum Schweigen gebracht. Heftiger wurde selten diskutiert.

Welche Wirkung könnte ein solcher Boykott haben? Wem schadet er? Was erwartet die Boykotteure? Er trifft die Kulturinstitutionen, die sich ohnehin im Dilemma befinden, mit wem sie zusammenarbeiten können und wollen.

Zynisch interpretiert, könnte es sich als praktisch erweisen, dass die unterschreibenden Künstler sich selbst als Befürworter von „Befreiungsbewegungen“ identifizieren, die auch Terroranschläge für gerechtfertigt halten. Über 600 Unterschriften führt die Website bereits auf. Sogar Nobelpreis-Trägerin Annie Ernaux hat ihre Solidarität erklärt.

Der Ansatz der Website ist überzogen, grotesk, alarmierend, denn es handelt sich um keine Parodie im Stil des Zentrums für Politische Schönheit, wie schon gemutmaßt wurde, sondern einen ernsthaften Aufruf, der auch ein Licht auf die Stellung Deutschlands im internationalen Kulturbetrieb wirft. Seit der Documenta Fifteen macht die Runde, dass in der Bundesrepublik Zensur geübt werde. Die antisemitischen Motive auf dem Plakat von Taring Padi in Kassel hätten demnach toleriert werden müssen.

Dass in Deutschland aus gutem Grund in dieser Debatte mehr verhandelt wird, wird ignoriert. Umso bedauerlicher, dass sich seit dem Terrorangriff der Hamas und dem militärischen Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen das gegenseitige Missverständnis nur noch steigerte.

„Strike Germany“ ist die bislang krasseste Form der Erwiderung auf einen Konflikt, der schon lange in einem Kulturmilieu schwelt, das Solidarität mit Palästina immer aggressiver mit anti-israelischen Ressentiments gleichsetzt. Die nächste Stufe lautet anti-deutsch. Was mit BDS als perfider Kampagne gegen den israelischen Kulturbetrieb begann, greift als Methode um sich.

Auch wenn der Aufruf nicht wirklich ernst zu nehmen ist, nur eine kleinere Gruppe ihm folgt, so hat das internationale Ansehen der Kulturszene in Deutschland dennoch den Schaden.

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