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Deniz Yücel bei seiner Kongress-Eröffnungsrede am Samstag in Berlin

© dpa/Jens Kalaene

Der PEN Berlin, das Wort und die Wiederholung: Versuch größtmöglicher Toleranz

Keine Gesinnungsgemeinschaft: Am Wochenende trafen sich die Mitglieder von PEN Berlin zu ihrer Versammlung und einem Kongress.

Es sollte noch einmal gesagt sein und dann auch noch ein paar Mal wiederholt werden, was PEN-Berlin-Sprecher Deniz Yücel am Tag zuvor schon bei der Mitgliederversammlung der Schriftstellervereinigung in der Heilig-Geist-Kapelle der Humboldt-Universität gesagt hatte: „Der PEN Berlin lehnt BDS ab“. Das sei „kein klassischer Satz zum Einstieg einer Begrüßungsrede“, gab Yücel an diesem Samstag bei seiner Eröffnungsrede des Kongresses zu, „aber ich hatte es versprochen“.

Leider klang dieses Statement in seiner Häufung – fünf Mal flocht Yücel es wie versprochen in seine Rede ein, also gewissermaßen als laufenden Scherz – weniger nach „Wir stehen im Wort“, so wie der PEN-Berlin-Slogan lautet, als nach schleichender Wortentleerung. Einmal hätte gereicht. Nun denn.

Irritationen wegen BDS

Und Irritationen hatte es spätestens seit dem 7. Oktober ja genug gegeben: vom Fehlen einer eindeutigen Solidaritätsadresse mit Israel und der Distanzierung vom PEN International, dem Dachverband, der es an Empathie mit Israel und den Opfern der Hamas-Morde fehlen ließ, gar von Israel als einem „Apartheidssystem“ sprach, bis hin zu der Einladung der schottischen Schriftstellerin A.L. Kennedy als Key-Note-Sprecherin des Kongresses.

Kennedy sympathisiert mit BDS. Sie befand auf einer Seite des BDS-Ablegers „Artists For Palestine“ 2017 ein Konzert von Nick Cave in Tel Aviv und Äußerungen von ihm „als moralisch gefährlich“; noch heute ist ihr Porträtfoto auf der BDS-Website zu sehen. Zu schweigen schließlich von der fehlgehenden Formulierung der PEN-Sprecherin Eva Menasse, solche Verweise wie zu Kennedy seien „Gesinnungsschnüffelei“.

Austritte, Krisenstimmung

Es gab dann Austritte aus dem PEN Berlin, unter anderem den des Historikers Ernst Piper, Zerwürfnisse, Zoff, Krisenstimmung. Und es gab als Reaktion darauf und gewissermaßen zur Befriedung am Freitag bei der Mitgliederversammlung, auf der etwa die Autoren Alban Nikolai Herbst und Peter Licht forderten, Kennedy wieder auszuladen, zwei mit großer Mehrheit verabschiedete Resolutionen.

Zum einen die Distanzierung von der Positionierung des PEN International zum Terrorangriff vom 7. Oktober 2023, diese sei „in unseren Augen nicht mit den Werten des PEN vereinbar“. Darin finden sich unter anderen auch die Worte: „Wir stehen an der Seite der Jüd:innen überall auf der Welt und somit an der Seite Israels. Wir treten ein gegen jeden Antisemitismus, sei es der eigene, sei er von rechts, links, aus der Mitte, akademisch, proletarisch, islamistisch, christlich etc.“

Zum anderen spricht sich PEN Berlin nun per Resolution „gegen gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb aus“. Heißt unter anderem: „Größtmögliche Toleranz gegenüber anderen Meinungen, Standpunkten und Perspektiven.“

Was konkreter wiederum heißen soll: Nicht jeden Autor oder jede Autorin, nicht jeden Künstler oder Künstlerin wegen der Unterzeichnung einer BDS-Petition an den Pranger zu stellen. Oder auch: Soli-Lesungen wie für Adania Shibli auch für Uwe Tellkamp zu organisieren, falls nötig, wie Yücel es zweimal sagte.

Tatsächlich gingen die Mitgliederversammlung und der Kongress tags drauf im Festsaal Kreuzberg manierlich über die Bühne. In der Heilig-Geist-Kapelle der HU hatte man schon auch den Eindruck: Verein ist Verein. Nichts geht über eine gute Organisation, auch beim PEN Berlin, NGO-Anspruch hin, Pop-Knuffigkeit her, nichts über eine geregelte Tagesordnung. Es braucht Abstimmungen, unter anderem von Anträgen – und manchmal von Anträgen, überhaupt bestimmte Anträge zur Abstimmung zuzulassen.

Im Festsaal Kreuzberg gab es nach der viel zu langen Eröffnungsrede von Deniz Yücel und seinen vielfach schon in Pressemitteilungen und Interviews vorgetragenen Erläuterungen („Wir haben PEN Berlin nicht als Gesinnungsgemeinschaft gegründet“, „der Streit war nicht nur programmiert, er war gewollt“) diverse Podiumsdiskussionen in zwei Sälen: etwa zum Antisemitismus und Rassismus in der Einwanderungsgesellschaft, eine sehr ergiebige Diskussion.

Oder eine, die unter dem Motto „Reden auf schmalen Grat: Israel und Palästina“ stand und zwei linke Israelis und einen Verleger und Buchhändler sowie eine Kulturwissenschaftlerin mit jeweils palästinensischem Hintergrund zu Wort kommen ließ. Diese wiederum war weniger ergiebig und verbreitete eher Ratlosigkeit.

Kultur der Menschlichkeit

Fast naturgemäß hatten die den Nahostkonflikt betreffenden Diskussionen den größeren Zulauf als die ausschließlich der Literatur verpflichteten (etwa „Poesie als Lebensform“ oder „Ich, Ich, Ich: in der Autofiktionshölle“). Ja, und dann war noch die vorab so umstrittene Rede von Kennedy, die digital übertragen wurde: Kennedy war in London ihr Rucksack gestohlen worden, darin nicht nur Wertsachen, sondern auch ihre Reisedokumente. Ohne diese ist im Brexit-England keine Ausreise möglich. 

 Beim PEN muss es darum gehen, eine widerstandsfähige, organische Kultur der Fülle und der Menschlichkeit zu erhalten, der Kreativität und der ausgestalteten, stimmstarken Fiktion.“

A.L. Kennedy, schottische Schriftstellerin

Kennedys Rede hatte etwas Predigendes, mit der Betonung auf das Menschsein an sich und der Liebe. Vor einem apokalyptisch anmutenden Hintergrund (Corona-Pandemie, KI, Demokratien am Abgrund) legte sie ihr Augenmerk auf Wert und Wichtigkeit des Schreibens („Wir erklären den Menschen sich selbst“), auf das innere Wesen des PENs: „Beim PEN muss es darum gehen, eine widerstandsfähige, organische Kultur der Fülle und der Menschlichkeit zu erhalten, der Kreativität und der ausgestalteten, stimmstarken Fiktion.“

Man muss den Pessimismus von Kennedy nicht teilen, um ihr da zuzustimmen, um letztendlich viele Sätze ihrer Rede ganz okay zu finden.

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