zum Hauptinhalt

© Michal Kosakowski

Die Gesamtkunstwerkerin: Uli Aigner zeigt Porzellangefäße im Neuen Museum

Ihr Plan: eine Million Gefäße von eigener Hand, überall auf der Welt verteilt. Uli Aigner dreht Porzellan und zeigt es jetzt auf der Museumsinsel

Fünfhundert Jahre Garantie. Ein nutzerfreundliches Versprechen, das die Künstlerin Uli Aigner gibt. Und zwar auf jedes der von ihr gedrehten Porzellangefäße. Bis zum Lebensende sollen es eine sagenhafte Million Stücke werden. Geht eines zu Bruch, fertigt sie ein neues und wünscht sich außerdem die Scherben zurück. „Sie erzählen auch eine Geschichte“, sagt sie. Vom Fließen der Zeit und dem Vergehen der Dinge, die manchmal doch erstaunlich langlebig sind.

Im Neuen Museum auf der Museumsinsel, genauer im Museum für Vor- und Frühgeschichte, sind sonst nur Tausende Jahre alte Gefäße zu sehen. Mitten hinein in die Sammlung von Bechern, Schalen und Amphoren aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit stellt Uli Aigner nun mit der Schau „Der Porzellan Code – One Million“ ihre Kelche, Krüge, Teller. Archäologie und Kunst bilden eine Zeitlinie, die sich von der Vergangenheit in die Zukunft zieht.

An diesem Tag läuft noch der Aufbau. Uli Aigner und ihr Team, das auch den Ehemann und eines ihrer vier Kinder einschließt, haben zu tun. Oberhalb der monumentalen Treppe steht ein wuchtiger Holztisch, der drüber und drunter mit Porzellan bedeckt ist. Auch Scherben sind darunter. Diese – an Geschirrberge eines Polterabends erinnernde – „Archivskulptur“ hat Aigners Tochter aus 800 Teilen zusammengefügt.

Sie markieren den Beginn der weißen Porzellanspur, die sich in den Vitrinen deutlich von den aus der Erde geholten, archäologischen Funden abgrenzt und ihnen doch ähnelt. Zeitgenössische Kunst mit Handwerksappeal mit kulturhistorischen Sammlungen zu konfrontieren, ist gerade Mode in Museen. Hier leuchtet die vom Direktor initiierte Einladung Aigners sofort ein.

Schöpfen, Gießen – diese Funktionen sind so alt wie die Zivilisation. Töpfern sei die älteste Handwerkstechnik der Welt, sagt Aigner, die als Weißdreherin ausschließlich fortlaufend nummerierte Unikate aus Porzellan auf der Drehscheibe herstellt und keine Keramik. Ob in der sogenannten Trinkbecherkultur der Jungsteinzeit oder heute, essen und trinken mache alle gleich, über Kontinente und Jahrtausende hinweg, lautet Aigners enthierarchisierendes Gesellschaftsverständnis. „Deswegen will ich mit meinen Gefäßen durch alle Milieus.“

Wo auch der Tod einen jeden betrifft. Ihn thematisiert eine von ihr geformte Urne, die sich die Vitrine mit antiken Kultgefäßen teilt. 7000 Gefäße hat Aigner seit 2014 gedreht und durch Verkauf, Schenkung und Tausch bereits über fünf Kontinente und in fünfzig Länder verteilt, wovon die ausgestellte Weltkarte und ihr Satz „Ich fertige ein Weltservice, aber mit mehr als 24 Teilen“ erzählen.

Uli Aigners Stücke, platziert in einer Vitrine im Neuen Museum.
Uli Aigners Stücke, platziert in einer Vitrine im Neuen Museum.

© Michal Kosakowski

Fünfhundert Jahre Garantie, eine Million Gefäße – kleinteiliges Denken ist nicht die Sache der 1965 in Österreich geborenen Konzeptkünstlerin, die sich in der Tradition von Datums- und Zahlenkünstlern wie On Kawara und Roman Opalka sieht. Ein paar Stunden zuvor öffnet Uli Aigner in Wilmersdorf die Tür zu ihrer Atelierwohnung, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Filmemacher Michal Kosakowski und einem Assistenten das Porzellanimperium ausbaut.

Gerade ist Aigner aus Budapest zurückgekehrt, wo sie im Ludwig Museum eine Ausstellung mit großformatigen Zeichnungen eröffnet hat. Beides, das Drehen wie das Zeichnen, gehöre zu ihrer fast kunsthandwerklichen Arbeitsweise, erzählt Aigner, deren Eloquenz ihrem Tatendrang kein bisschen nachsteht. „Mich interessiert Zeit, Prozess und körperliches Arbeiten.“

Die Porzellanmasse kommt aus Limoges

Im Zentrum ihrer Weißdreherinnenwerkstatt steht die Drehscheibe, an der sie die Gefäße formt. Auf Gipsplatten, die die Feuchtigkeit absaugen. Die Porzellanmasse kommt aus Limoges, auf einem Regal ruhen vorgeknetete Pakete. Zu den mit Starkstrom betriebenen, 1300 Grad heißen Brennöfen geht es durch die Küche. Sie stehen dort, wo in Altbauwohnungen sonst die Speisekammer liegt. Am selben Ort zu leben und zu arbeiten, mit der Familie und anderen Menschen zusammen, das entspricht Aigners Philosophie. „Ich bin so eine Gesamtkunstwerkerin.“

Auch ihre Gefäße entstehen durch Kommunikation und Austausch mit den Menschen, die per Mundpropaganda vom „One-Million“-Projekt erfahren. Zu Preisen von 50 bis 200 Euro Teil eines lebendigen Kunstwerks zu werden, in dem man ein individuell gefertigtes, signiertes, nummeriertes Gefäß erwirbt, und auf der „One-Million“-Webseite verewigt wird, das gefällt den Leuten. Nach der Buchhandlung Walter König im Hamburger Bahnhof bieten auch andere Museumsshops Aigners Becher an. Bis hin zum Whitney Museum in New York. Auch am Flughafen BER steht eine ihrer Schalen, im Raum der Stille.

Uli Aigners Item 3501, ein in China gefertigtes Monumentalgefäß.
Uli Aigners Item 3501, ein in China gefertigtes Monumentalgefäß.

© Marie Paul

Als nächster Schritt soll die interaktive Karte zu einer App werden, über die sich die Menschen dann auch direkt austauschen können. Der digitale Part ihres Projekts sei genauso wertvoll wie die gedrehten Gefäße, sagt Aigner. Ohne das Internet hätte sie nie mit „One Million“ begonnen. „Es ist ein digitaler Eisberg mit einer Spitze aus Porzellan.“ Eine Versuchsanordnung, bestehend aus einem Objekt und einem Datensatz.

Die Digitalisierung ist für Uli Aigner, die in Österreich die dritte Person überhaupt mit einer E-Mail-Adresse war, dasselbe wie die Porzellandreherei: ein Handwerk. „Und es kommuniziert visuell, wie die Kunst.“ Nach einer Töpferlehre und dem Designstudium bei Matteo Thun an der Wiener Kunsthochschule, hat Aigner noch ein Studium der digitalen Bildgestaltung an der Filmakademie Baden-Württemberg absolviert und sich dann der freien Kunst zugewandt.

Auf die seit der Lehre komplett ignorierte Drehscheibe ist sie erst 2014 in Berlin wieder verfallen. Auch ihrer Kinder wegen. „Ich wollte ihnen etwas ganz Einfaches zeigen: Wenn du was tust, passiert was.“ Mit dem eigenen Körper etwas tun, das ist ein wichtiges Stichwort für Uli Aigner. „Ich glaube an die Logik der Handlung. Sie ist etwas viel Komplexeres als jeder Gedanke.“ Dass sie in ihrer Lebenszeit keinesfalls eine Million Gefäße drehen kann, spiele keine Rolle. Schon die Behauptung jedoch schaffe einen riesigen Möglichkeitsraum. Idealerweise über ihren begrenzten Lebenszeitraum hinaus.

Mit einem kleinen Forschungsstipendium des Berliner Senats ausgestattet, will Aigner nun in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren eine sprachbasierte KI entwickeln, die 3D-Hohlkörper erkennen und auch umsetzen kann. Also einen Apparat schaffen, der für sie posthum Gefäße dreht. An Visionen, wie „One Million“ weiterwachsen soll, mangelt es der Künstlerin nicht. Fehlt dann nur noch die Hausfrauenfrage. Uli Aigner lächelt und nickt. Na klar sind die Porzellangefäße spülmaschinenfest.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false