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Simon Moullier Inception

© Adrien H. Tillmann

Vier Schlägel Wirbelsturm: Simon Moulliers Album „Inception“

Für das Magazin „Downbeat“ ist er ein Rising Star auf dem Vibraphon. Sein jüngstes Trioalbum macht hörbar, was seine mitreißenden Qualitäten ausmacht.

Von Gregor Dotzauer

Im goldenen Schimmer des Vibraphons kann man sich herrlich sonnen. Sobald das Dämpferpedal die Klangplatten zum Schwingen freigibt, beginnt es zu blitzen und zu funkeln, und die rotierenden, von einem Motor bewegten Plättchen am oberen Ende der Resonanzröhren zaubern ein Schweben in die Luft, von dem man sich wegtragen lassen kann. Aber was ist das für ein knochentrockenes Wirbeln durch die drei Oktaven seines Instruments, das Simon Moullier veranstaltet?

In seiner perkussiven Stumpfheit ist es das Gegenteil jener orchestralen Fülle, die Gary Burton erzeugt, der auch nach seinem Abschied vom aktiven Musikerleben noch immer der zeitgenössische Übervater des Jazz-Vibraphons ist. Das unmittelbar Gesangliche von Moulliers Spiel liegt, interpunktiert von einem rasant vierstimmigen Comping, allenfalls in den übermütig mitgekrähten Single-Note-Linien. Das Metall seines Instruments klingt eher nach dem Holz einer Marimba, und doch entsteht hier nach dem ersten, im Gummi der Schlägel erstickenden Schreck ein mitreißender Ideenfluss von eigenem Gepräge.

Simon Moullier selbst, 1994 in Paris geboren und seit seinem Master’s Degree am kalifornischen Thelonious Monk Institute eine feste, mittlerweile in Brooklyn beheimatete Größe der amerikanischen Szene, hat immer wieder die großen Bläser des Jazz als Vorbilder genannt: Charlie Parker, Clifford Brown oder John Coltrane. Musiker, denen er nicht unmittelbar nachfolgen konnte, weil er als zunächst klassisch ausgebildeter Schlagzeuger vom falschen Ende des musikalischen Universums aufgebrochen war.

Produktive Zwangslage

Sein Ungenügen am Vibraphon, an das er überhaupt nur geraten war, weil bei einem Summercamp des 17-Jährigen am Berklee College bereits zu viele Drummer angemeldet waren, hat sich jedenfalls als produktive Zwangslage erwiesen: Beim internationalen Critics Poll des maßgeblichen Magazins „Downbeat“ ist er gerade zum Rising Star auf seinem Instrument gewählt worden.

„Inception“, sein viertes Album unter eigenem Namen und das zweite in Triobesetzung mit den früheren Berklee-Gefährten, dem Bassisten Luca Alemanno und dem Drummer Jongkuk Kim, ist ein Stück stürmischer, kaum je zur Ruhe kommender Straight-ahead-Jazz, das dennoch keine Kompromisse macht.

Das Ingenium zeigt sich weder in der Aufsprengung der rituellen Abfolge von Thema, Improvisation und Rückkehr zum Thema oder auffälligen Arrangements, sondern in der Verzahnung zu einem einzigen Ensemblekörper: Insbesondere Jongkuk Kim verleiht dem Ganzen mit dem feinziselierten Swing seiner Becken zusätzlich Flügel.

Das Titelstück verkörpert, 60 Jahre, nachdem es der Pianist McCoy Tyner für sein gleichnamiges Debütalbum einspielte, den stilistischen Hallraum, in dem sich diese Musik bewegt. Überhaupt findet sich neben acht Standards, von Horace Silvers’ „Ecaroh“ über Miles Davis‘ „Pfrancing“ bis zu Michel Legrands „You Must Believe in Soring“, nur eine einzige Eigenkomposition des Bandleaders.

Historisierend ist daran nichts: Harmonische Begrenzung und solistische Überschreitung im Moment sind eins. Simon Moullier, der mit Legenden wie Milt Jackson und Bobby Hutcherson auch ganz andere Typen von Vibraphonisten verehrt, zeigt mit diesem fabelhaften Album, wie künstlich die Unterscheidung von traditionellem und fortschrittlichem Musizieren ist, wenn man so geschichtsbewusst und erfinderisch zur Sache geht wie er.

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