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Widerständig. Eine junge Iranerin widersetzt sich am 27. Dezember 2022 in Teheran der gesetzlichen Hijab-Vorschrift. Aus Solidarität mit der „Frauen, Leben, Freiheit“-Protestbewegung.

© Ahmad Halabisa/World Press Photo 2023

World Press Photo Ausstellung 2023: Die Schmerzen der Welt

Seit 1955 kürt die World Press Photo Foundation die eindrücklichsten Pressefotos des Jahres. Jetzt sind die prämierten Bilder im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen.

Die Menschen verschließen allzu gern die Augen vor dem Zustand der Welt? Das stimmt nicht. Im Gegenteil. Sie wollen wissen, wollen sehen und die visuelle Kraft dokumentarischer Fotografie im Kontext einer Ausstellung erleben. Sie wollen dem widerständigen Blick jener Iranerin begegnen, die der Fotojournalist Ahmad Halabisaz am 27. Dezember 2022 einfängt. Die junge Frau trotzt am Rande eines belebten Platzes in Teheran der gesetzlichen Hijab-Vorschrift, aus Solidarität mit der in der Haft gestorbenen Kurdin Masha Amini. Ein starkes Bild.

Und beileibe nicht das einzige in der beim Publikum sehr populären Präsentation der von der World Press Photo Foundation gekürten, beeindruckendsten Pressefotos der Welt. Seit zwanzig Jahren wird die Schau alljährlich im Willy-Brandt-Haus gezeigt. Und schon am ersten Tag waren knapp 600 Besucher:innen da, weiß Mirja Linnekugel, die Künstlerische Leiterin des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus, der die Ausstellung präsentiert.

Die Afghanistan-Serie „Der Preis des Friedens“ des dänischen Fotografen Mads Nissen wurde als Fotoserie des Jahres prämiert. Auf diesem Foto betteln Hungernde vor einer Bäckerei in Kabul um Brot.

© picture alliance/dpa/World Press Photo Foundation/MADS NISSEN

Die World Press Photo Foundation ist eine gemeinnützige Organisation, die seit 1955 die Arbeit von Fotojournalisten und Dokumentarfotografinnen unterstützt. Der Wettbewerb, bei dem das Pressefoto des Jahres gekürt wird, gilt als wichtigste Auszeichnung des Fachs. Neue Regularien wie die Einführung von sechs Jurys aus den Regionen Asien, Europa, Afrika, Nord- und Mittelamerika, Südamerika sowie Südostasien und Ozeanien führen dazu, dass die Bildgeschichten inzwischen sehr vielfältig ausfallen. Und die Beschränkung auf vier formale Kategorien – Einzelfotos, Serien, Langzeitprojekte und ein Offenes Format, in dem auch Videoprojekte und Webseiten, etwa der iranischen Protestbewegung, berücksichtigt werden, – verleiht der Schau Konzentration und Tiefe.

Der Krieg gegen die Ukraine nimmt in der nach den geografischen Regionen gehängten Schau breiten Raum ein. Verwundete Menschen, Frauen und Kinder in Kellern und Massengräber erzählen von der Belagerung Mariupols durch die russischen Armee. Zum World Press Photo 2023 wurde Evgeniy Maloletkas am 9. März 2022 aufgenommenes Foto einer verletzten Schwangeren gekürt, die auf einer mit einem roten Tuch ausgelegten Trage aus der Geburtsklinik getragen wird. Die 32 Jahre alte Iryna Kalinina und ihr Baby überleben nicht. Das Motiv, dass die grausame Barbarei des Krieges in eine Momentaufnahme zwischen rauchenden Ruinen bannt, geht um die Welt.

Ukraine, Mariupol: Ukrainische Rettungskräfte und Polizisten evakuieren die verletzte schwangere Frau Iryna Kalinina aus einer Entbindungsklinik, die durch einen russischen Luftangriff beschädigt wurde. (Archivbild vom 09.03.2022).
World Press Photo des Jahres. Evgeniy Maloletka von Associated Press fotografierte eine verletzte Schwangere, die aus der Geburtsklinik von Mariupol geborgen wird.

© dpa/Evgeniy Maloletka/World Press Photo 2023

Deutlich stiller, aber genauso erschütternd ist die Serie des Jahres, die der Däne Mad Nissen für die Zeitung „Politiken“ fotografiert hat. „Der Preis des Friedens in Afghanistan“ dokumentiert die Not der Bevölkerung, die die Wirtschaftskrise nach der Machtübernahme der Taliban auslöste. Die Nachtaufnahme, in der Frauen wie burkablaue Elendshäufchen vor dem golden leuchtenden Fenster einer Bäckerei um Brot betteln, kann man nur als Poesie des Schreckens bezeichnen. Und erst in das in Brauntöne getauchte Porträt des 15-jährigen Khalil Ahmad, der eine Narbe an der linken Körperhälfte herzeigt. Da saß mal die Niere des Jungen, die seine Eltern aus Hunger und Not für 3500 US-Dollar verkauft haben.

Wassermangel in Kasachstan

Doch nicht nur die himmelschreiende, augenblickliche Not und Umweltfrevel wie Ölpest und Pestizid-Einsatz sind Thema, sondern auch die schleichenden Veränderungen, die die Erderwärmung und die gedankenlose Verschleuderung der natürlichen Ressourcen anrichten. Dokumentiert etwa in der Langzeitbeobachtung „Bevor sie verschwinden“, in dem sich M’hammed Kilito mit der durch Wassermangel und landwirtschaftliche Veränderungen ausgelösten schwindenden Oasen-Kultur in Marokko auseinandersetzt. Und Anush Babajanyan in „Misshandelte Gewässer“ mit der Konkurrenz zwischen Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan, die sich gegenseitig im Ringen um die Ausbeutung des Wassers für Energiegewinnung und Felderbewässerung wortwörtlich das Wasser abgraben.

Wasser ist nicht nur lebensnotwendig, sondern bedeutet auch Freude und Genuss. Das zeigt die mit Unterstützung der National Geographic Society entstandene Gewässer-Serie am Beispiel einer heißen Quelle in Kasachstan, an der drei Frauen mit nackten Füßen lagern. Wäre da nur nicht die umliegende gelbbraune Ödenei, die einst der glitzernde Aralsee deckte, der inzwischen 90 Prozent seines Wassers verloren hat. Die Quelle ist im ehemaligen Bett des verlandeten Sees aufgebrochen.

Es sind erstaunliche, eindrückliche und erschreckende Ansichten der Welt, die die teilnehmenden Fotojournalistinnen aus insgesamt 127 Ländern dokumentiert haben. Im Namen der Pressefreiheit, der sich die World Press Photo Foundation mit ihrer Arbeit verpflichtet hat und die auch Aufnahmen der im Bau befindlichen neuen Hauptstadt von Ägypten einschließt.

Mit diesem New Administrative Capital (NAC), das inklusive einem absurdem Arc de Triomphe in Europa weitgehend unbemerkt seit 2015 östlich von Kairo für Ministerien und führende Firmen in der Wüste entsteht, will sich Präsident Abdel Fattah al-Sisis ein Denkmal setzen.

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