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In dem Film „Privilege“ lässt sich die weiße Protagonistin in den Wechseljahren von Yvonne, ihrer afroamerikanischen Freundin, über die Menopause interviewen. 

© Arsenal

Erstaunliche Geschichten über Frauen: Das Arsenal zeigte Spielfilme der New Yorker Tanz-Ikone Yvonne Rainer

In den 90er Jahren machte sie ihren Brustkrebs zum Thema. Mit 88 Jahren dreht sie immer noch Filme. Ihre Spezialität: anarchische Seifenopern. Im Arsenal startet jetzt eine Retrospektive.

Von ihrem letzten Tanz sprach Yvonne Rainer als kürzlich ihr neuester, – vielleicht letzter –, Film herauskam. „HELLZAPOPPIN’: What about the bees?“ beschäftigt sich mit Rassismus und Diskriminierung in Amerika, verpackt in Musicalszenen und Tanz.

Anfang des Jahres hatte der Film in der Kunsthalle Baden-Baden Premiere, vorausgegangen war eine Ausstellung eines jüngeren Performers. Yvonne Rainer ist für fast alle, die heute in diesem Feld Innovationen hervorbringen, ein wichtiger Bezugspunkt.

Die 88-jährige amerikanische Choreografin und Filmemacherin ist Pionierin gleich mehrerer Disziplinen. Sie revolutionierte den modernen Tanz, die Performance, den Film, die Poesie und die Art, wie feministische Themen in diesen Medien behandelt werden. Seit über 60 Jahren ist die New Yorkerin aktiv. Im März zeigt das Arsenal eine Retrospektive ihres Werks mit ihren sieben Spielfilmen, die in den 1970er bis 1990er Jahren entstanden sind.

Yvonne Rainers „ A film about a woman who...“ spielt mit Klischees und Konventionen der Soap-Opera und erzählt die Geschichte einer Frau, hinter deren sexueller Unzufriedenheit sich eine enorme Wut verbirgt.

© Arsenal

Der letzte Film in der Reihe „MURDER and murder“ von 1996 ist vielleicht der lustigste, radikalste und schwarzhumorigste. Dort geht Rainer offen mit ihrer Brustkrebserkrankung um. Als Regisseurin taucht sie selbst immer wieder in der Geschichte über zwei lesbische Frauen auf und unterbricht so den Erzählfluss.

Rainer verliest Statistiken über Brustkrebs (die übrigens nicht stimmten, wie man nachlesen kann), kommentiert kühl ihre persönliche Befindlichkeit, zeigt sich mit ihrer Amputationsnarbe. Und das alles im Setting einer Soap-Opera, in der die beiden Protagonistinnen Mildred und Doris, um ihre Beziehung ringen.

Wie in jedem von Rainers Filmen tauchen choreografische Elemente auf, etwa wenn die beiden Frauen ihre gegenseitigen Mikroaggressionen in einem Boxring austragen sollen und dann enden, auf den Brettern liegend. Aber nicht k.o., sondern beim Sex.

Sie mogelt sich selbst in ihre Filme

Rainer, 1934 in San Francisco geboren, kam als junge Frau nach New York, absolvierte eine Tanzausbildung. 1962 gründete sie mit anderen das experimentelle Judson Dance Theater. Rainer und die Künstler:innen aus ihrem Umfeld experimentierten mit banalen, alltäglichen Bewegungen, mit Langeweile, Yvonne Rainer hat das später in einem Manifest „antispektakuläre Ästhetik“ genannt. 1968 fing sie an, Kurzfilme in ihre Live-Performances zu integrieren. Bis 1975 hatte sie sich komplett dem Film zugewandt.

Ihr Spielfilm-Debüt „Lives of Performers“ von 1972 fällt in diese Zeit des Übergangs. Der 90-Minüter enthält bereits viele Elemente, die das Avantgarde-Kino Rainers bis heute ausmachen: Sie verwebt Realität und Fiktion, Persönliches und Politik, Albernheit und Strenge. Sie baut Tanzperformances in die Filme ein, nutzt Stummfilm-Elemente, lässt intellektuelle Texte verlesen. Ihr Thema: die Frau. Mit all ihren Problemen und Nöten. Auch denen, die der Rest der Gesellschaft lieber ignoriert: Wechseljahre, Brustkrebs, Lesbianismus, sexuelle Unzufriedenheit, Gewalt.

Ein Mann, zwei Frauen und die Liebe

In ihrem ersten Langfilm, „Lives of Performers“, geht es um die Liebe, um drei Menschen in einer polyamoren Konstellation: zwei Frauen, ein Mann. Er liebt beide, soll sich entscheiden, kann es aber nicht. Im Film ist das schön in einer minimalistischen Choreografie dargestellt. Rechts „Frau Nummer Eins“, links „Frau Nummer Zwei“, in der Mitte der Mann, der sich mal zur einen, mal zur anderen dreht und sie küsst und umarmt. Die Frauen berühren sich nie. Das kommt erst später.

Das Berliner Künstlerinnen-Duo Pauline Boudry und Renate Lorenz hat Jahrzehnte danach, 2009, ein Solo aus „Lives of Performers“ in ihrem Film „Salomania“ verwendet. Und Yvonne Rainer tritt darin selbst auf. Neben ihr auch die Künstlerin Wu Tsang, eine der Performerinnen, die heute neue Maßstabe setzt. So treffen sich die Generationen. Welchen Einfluss Yvonne Rainers unverkennbarer Stil auf Akteur:innen verschiedenen Alters in Film und Tanz hatte, wird am Ende der Retrospektive in einem Abschlusspanel diskutiert.

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