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Elke Erb in ihrem Berliner Heimatbezirk, dem Wedding.

© imago images/gezett/Berliner Akademie der Künste via www.imago-images.de

Zum Tod der Georg-Büchner-Preisträgerin Elke Erb: Erst Hören und Denken, dann Schreiben

Sie war eine der eigenmächtigsten, eigenwilligsten und großartigsten Stimmen der deutschsprachigen Lyrik: Ein Nachruf auf die am Montag im Alter von 85 Jahren verstorbene Schriftstellerin Elke Erb

Als Elke Erb im Jahr 2020 in Darmstadt der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde, fiel diese Ehrung in die hohe Zeit der Corona-Pandemie. Längst überfällig war diese Auszeichnung für die zu diesem Zeitpunkt 82 Jahre alte Lyrikerin - und dann wurde die Verleihung unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit nur wenigen Anwesenden aus der Akademie und überdies digital übertragen, was der Lebensleistung Erbs und ihrer Bedeutung für die deutschsprachige Gegenwartslyrik naturgemäß in keinster Weise entsprach.

Zumindest hatte der späte Höhepunkt ihrer Lyrikerinnen- und Schriftstellerinnenkarriere auch etwas „Prozessuales“, so wie sie selbst das prozessuale Schreiben zu einer Kunstform entwickelt und geradezu perfektioniert hat.

Das Ich unter dem Bewusstsein

Für Erb war immer Voraussetzung beim Verfassen eines Gedichts, dass dieses nie einen Abschluss hat, stets unfertig ist und Wandlungen durchläuft, gerade auch Wandlungen im eigenen Bewusstsein: „Du musst das unter dem Bewusstsein liegende Ich sprechen lassen“, hat sie einmal über ihr Schreiben gesagt. Oder auch: „Ich höre, was ich schreibe. Alles, was ich schreibe, ist das Wort im Gehörgang, belauscht ist das Wort im Gehörgang.“

Dass sich Erbs Lyrik nicht immer beim ersten Lesen erschließt, erstmal Unverständnis produziert, versteht sich dabei fast von selbst. Diese Gedichte muss man langsam lesen, mehrmals. Wie hat das ihre berühmte Wiener Freundin und Kollegin, die im Sommer 2021 verstorbene Friederike Mayröcker über sie gesagt, das „Zirkelige, Strenge, Wirklichkeit Abpausende“ von Erbs Arbeiten hervorhebend: „Celans Unauflöslichkeit gepaart mit Brechtscher Eindeutigkeit.“

Celans Unauflöslichkeit....

Was Erb wiederum mit folgenden Zeilen dankte: „Wie nur kann man Regen und Wind,/also Fallen und Wehn, und Felsenkammerwand/ und Hagebutte und eiserner Mund/ und Flügel in einer klaren Luft/ und Verschlucken an ihr zugleich sein?“

...und Brechts Direktheit

Geboren 1938 in einem kleinen Ort in der Eifel und mit ihren Geschwistern und der Mutter 1949 dem Vater in die DDR nachfolgend, nach Halle an der Saale, debütierte Erb erst 1975 mit einem eigenen Band Poesie und Prosa, „Gutachten“. Von Sarah Kirsch seinerzeit als „überragendes Buch“ bezeichnet, besteht dieser Band aus Jugenderinnerungen, Nachdichtungen, Poemen wie „Naturbühne“ oder „Schlaraffenland“ und Dichterporträts.

Schon vorher aber hatte Erb nach ihrer Tätigkeit als Lektorin im Mitteldeutschen Verlag Kontakte zu Sarah und Rainer Kirsch, Adolf Endler (mit dem sie von 1967 bis 1978 verheiratet war), Karl Mickel und Erich Arendt geknüpft und ein Jahrzehnt lang in diversen Anthologien Gedichte mit einem bemerkenswerten Fantasie- und Sprachreichtum veröffentlicht. „Ich begrüße die neue Sonne am Horizont“, soll Erich Arendt nach ihren ersten Gedichten gesagt haben.  

In den achtziger Jahren schließlich begann Erb nach eigener Aussage eben jene „prozessualen Texte in einer der Lyrik verwandten Form“ zu schreiben, um „die unterschiedlichen, aber synchron geschalteten Gedankengänge im Kopf des Menschen in Sprache zu fassen“. In dem 1983 veröffentlichten Band „Vexierbild“ kam diese Arbeitsweise erstmals zum Vorschein.

1987 erschien „Kastanienallee“

Mit dem viel gerühmten Buch „Kastanienallee“, das 1987 erschien, hatte Elke Erb dann so etwas wie einen Durchbruch, unter anderem erhielt sie dafür den Peter-Huchel-Preis. In „Kastanienallee“ gewährt die Lyrikerin Einblicke in ihre Werkstatt, der Band enthält Entwürfe, Gegenentwürfe und Notizen, ist aufgebaut wie ein Arbeitsbuch und stellt nicht zuletzt dem sozialistischen Wir der DDR ein individuelles Ich entgegen.

Als regimekritisch hatte Erb von den frühen sechziger Jahren an gegolten: Sie setzte sich für eine andere, subjektivere, durchaus innerliche Lyrik ein, auch für Wolf Biermann ergriff sie vor dessen Ausbürgerung Partei, und als Herausgeberin der Prenzlauer-Berg-Szene-Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ geriet sie direkt in Konflikt mit dem Regime; der Band konnte nur im Westen erscheinen. Hermann Kant setzte sich seinerzeit erfolglos dafür ein, sie aus dem Schriftstellerverband der DDR auszuschließen.

Nach der Wende begann sie dann, sich immer radikaler selbst zu befragen, richtete ihre Aufmerksamkeit verstärkt auch auf das Werk von Friederike Mayröcker, veröffentlichte regelmäßig Gedichtbände wie „Sonnenklar“, „Gedichtverdacht“ oder auch einfach „Gedichte und Kommentare“ und avancierte dabei zum Vorbild für eine nachwachsende Generation junger Lyrikerinnen und Lyriker, im Grunde nicht bekannter als diese.

Der Georg-Büchner-Preis sollte sie schließlich über die Lyrikszene hinaus bekannt machen, nun geehrt als eine der eigenmächtigsten, eigenwilligsten und sprachartistischsten Lyrikerinnen des Landes. Wie es aber ihre stets bescheidene Art war, führte sie in ihrer Danksagung nichts anderes als den „Sprachtanz Büchners“ auf und las Passagen aus dessen Stück „Leonce und Lena“.

Nun ist Elke Erb im Alter von 85 Jahren gestorben, wie ihr Hausverlag Urs Engeler Editor mitteilte.        

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