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Richard Serras imposante Arbeiten wollten nicht gefallen, sondern neue Raumerlebnisse schaffen.

© IMAGO/Newscom / El Pais/IMAGO/Luis Azanza

Zum Tod von Richard Serra: Die Schönheit des Ungeschönten

Der Bildhauer Richard Serra ist ein Klassiker nicht nur der amerikanischen Moderne. Seine Skulpturen vermittelten ein neues Gefühl für Zeit und Raum. Nun ist er mit 85 Jahren gestorben.

Von Bernhard Schulz

Als der Platz vor dem Bochumer Hauptbahnhof mit einer Skulptur aus hoch aufragenden, gegeneinander gelehnten Stahlplatten bestückt wurde, hagelte es Proteste von allen Seiten. Das liegt 45 Jahre zurück. Ausgerechnet Bochum mit seinen damals noch produzierenden Stahlwerken wollte das Material nicht sehen, dem es seinen Aufstieg verdankte. „Terminal“, Endstation, hatte der Künstler das Monument genannt, und monumental war es in jeder Hinsicht; wie alles, was der Amerikaner Richard Serra machte.

Zuvor war „Terminal“ temporär in Kassel zu sehen gewesen, als eines der Wahrzeichen der Documenta 6 im Jahr 1977. Sie markierte mindestens in Europa Serras Durchbruch zum Klassiker. Ein Jahrdutzend später nannte ihn die „New York Times“ im Titel einer langen Reportage „Unseren bekanntesten Bildhauer“, wobei die Bedeutung des verwendeten Adjektivs im Englischen zwischen „berühmt“ und „berüchtigt“ oszillieren kann; je nach Zungenschlag. Beides trifft zu.

Die Gebilde, die Serra aus Walzstahl schuf und die sich im Laufe der Jahre von geraden Platten zu höchst ingeniös ineinander verdrehten Schlangenlinien, ja beinahe zu Irrgärten ohne Ausgang fortentwickelten, machten es ihren Betrachtern nie leicht.

Wobei aus Betrachtern mehr und mehr Benutzer wurden, die sich aktiv mit diesen Ungetümen auseinandersetzen, sie umrunden und ihr Inneres betreten mussten. Was Serras Skulpturen vermitteln, ist die Erfahrung von Raum und in der Erkundung ihrer Form auch von Zeit.

Das klingt so selbstverständlich, ja banal, und wird doch im Angesicht einer jeden Serra-Skulptur zur Herausforderung. Der Raum, den Serras Stahlplatten beanspruchen und an den Betrachter zurücksenden, ließ sich immer weniger mit einem Blick, ja überhaupt erfassen. Im Guggenheim Museum Bilbao – nebenbei eine weitere Stadt mit einer Vergangenheit in der Stahlindustrie – ist ein ganzer Gebäudeflügel seinen „Verdrehten Ellipsen“ und „Spiralen“ gewidmet, die sich von einer Loggia aus überblicken lassen.

Und da erst werden die zugleich eleganten wie furchterregenden Zwischenräume sichtbar, die sich zwischen benachbarten Platten und Windungen auftun und die je nach Neigung des eingrenzenden Stahls regelrechte Schwindelgefühle verursachen.

„Gefährliche“ Kunst aus Stahl

In Berlin steht eine Skulptur nahe der Philharmonie, man kann durch die gleichläufigen, gebogenen Platten hindurchgehen. Werden sie stehen bleiben? Verengt sich der Zwischenraum? Serra hat in den Anfangsjahren seiner Laufbahn tatsächlich mit der realen Gefahr operiert; man wurde gewarnt, seine damals noch kleinen, aber doch schon tonnenschweren Stahlgebilde anzustoßen.

Noch gefährlicher waren seine „Spritzer“ aus flüssigem Blei, die er an die Sockel des damals, in den 1960er Jahren, zum Leitbild gewordenen „White Cube“ der Moderne-Museen klatschte.

Auch in Berlin hat der Starkünstler seine Spuren hinterlassen. Die Serra-Skulptur vor der Philharmonie in der Herbert-von-Karajan-Straße.
Auch in Berlin hat der Starkünstler seine Spuren hinterlassen. Die Serra-Skulptur vor der Philharmonie in der Herbert-von-Karajan-Straße.

© imago images/camera4+/Tilo Wiedensohler via www.imago-images.de

Richard Serra kam 1938 in San Francisco zur Welt, die Eltern waren Einwanderer aus verschiedenen Ecken Europas. Der Vater schuftete auf einer Werft. Von ihm muss er das Ethos der körperlichen Arbeit mitbekommen haben; aber auch den Sinn für die Schönheit des Materials.

Als Kind sah er an der Hand des Vaters dem Stapellauf eines großen Schiffs zu. „All das Rohmaterial, das ich jemals benötigte, ist in dieser Erinnerung gespeichert“, pflegte er noch nach Jahrzehnten zu betonen. So, wie aus dem Stahl ein Schiffsrumpf entstand, formte Richard Serra aus ihm Skulpturen, von genau derselben Schönheit des in eine Form gebrachten Materials.

Serras Skulpturen wollen keine Aussage machen

Serras Skulpturen machen keine Aussage. Sie „bedeuten“ nichts – sie „sind“. Alles Erzählerische ist ihnen fremd, wie auch dem Künstler selbst: „Erfahrung muss nicht vermittelt werden“, pflegte er kurz und knapp zu sagen. Umso paradoxer erscheint, dass sie mehrfach erbitterten Widerstand hervorgerufen haben.

In Bochum, später – in einem berühmten Fall – sogar in New York, wo die bogenförmige Plastik „Tilted Arc“ per Gerichtsurteil von ihrem öffentlichen Standort entfernt wurde. Das räumliche Wachstum von Museumsbauten und Groß-Galerien brachte es mit sich, dass Serras Monumente mehr und mehr in Innenräumen gezeigt wurden.

Die Installation „The Matter of Time“ im Bilbao Guggenheim Museum.
Die Installation „The Matter of Time“ im Bilbao Guggenheim Museum.

© imago images/Kirchner-Media/Christopher Neundorf/Kirchner Media via www.imago-images.de

Unvergesslich wurde seine temporäre Installation hochragender Stahltürme im riesigen Grand Palais zu Paris; aber im Grunde sind seine Werke auf Dauer und einen festen Standort berechnet. 2014 ließ er vier Stahlplatten in die staubgraue Wüste von Katar rammen, auf einer geraden Linie über einen Kilometer hinweg angeordnet und in der flirrenden Wüstenhitze kaum zu erfassen.

Doch in der Leere der Wüste gewinnt die „East-West/West-East“ betitelte Installation eine Erhabenheit, die auch den öffentlichen Skulpturen Serras eignet, nur im Lärm der Stadt allzu selten wahrgenommen wird.

Serra, der sein Literatur- und Kunststudium mit Saisonarbeit im Stahlwerk finanzierte, ist im Laufe der Zeit mit allen denkbaren Ehrungen bedacht worden, so dem Goslarer Kaiserring schon 1981 oder dem Goldenen Löwen von Venedig im Jahr 2001. Seine Stahlplatten ließ er in einem Siegener Stahlwerk formen. Der immerzu changierende braune Rostton des Corten-Stahls bildet so etwas wie die Antithese zur präzisen Form des skulpturalen Ganzen.

Serra, man muss es kaum betonen, war ein großartiger Zeichner, der seine Ideen mit wenigen Strichen auf dem stets bereitliegenden Papier fixieren konnte. Kompromisse ging er nicht ein, so stieg er aus dem Projekt des Berliner Holocaust-Mahnmals aus, als sein Entwurf eines ruppigen Stelenfeldes geglättet wurde. Am Dienstagabend ist Serra 85-jährig in der Nähe von New York gestorben. Sein Werk wird überdauern, als eines der bedeutendsten des späten 20. Jahrhunderts.

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