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Deutschland und Frankreich: Bitte kein Diktat

In Berlin ist es gerade beliebt, Frankreich zu schelten: Die Wirtschaft kriselt, Francois Hollande packe nötige Reformen nicht an. Die Kritik ist berechtigt, aber zu viel davon würde Frankreich als Partner in der EU verprellen. Und dort wird die französische Stimme dringend gebraucht.

Es gibt eine neue Mode in Berlin – sie nennt sich Frankreich-Schelte. Und es gibt einen Präsidenten in Paris, der es seinen Kritikern derzeit ziemlich leicht macht. François Hollande lud am Dienstag mehrere hundert Journalisten in den Elysée-Palast ein, um den schlechten Umfragewerten einen Versuch der Erklärung seiner Politik entgegenzusetzen. Dabei wirkte er nicht unbedingt wie ein Mann, der seinen Laden umkrempeln will. Dennoch sollten sich die verantwortlichen Politiker in Berlin davor hüten, bei aller berechtigten Kritik am langsamen Reformtempo in Frankreich jetzt zu viel zu verlangen.

In Berlin wird derzeit der Eindruck erweckt, als sei Frankreich, ähnlich wie Deutschland vor den Reformen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, heute der „kranke Mann Europas“. Tatsächlich gibt es zahlreiche Krankheitssymptome auf der anderen Seite des Rheins: Die Automobilindustrie kriselt, auf dem Weltmarkt gehen weiter Exportanteile verloren, die Gesamtverschuldung des Staates steigt in beunruhigende Höhen. Die Zeichen stehen an der Wand – und da konnte man sich schon wundern, mit welcher Nonchalance Hollande verkündete, dass die Arbeitslosigkeit in Frankreich zunächst einmal weiter steigen werde, bevor Besserung eintritt.

Trotz dieser Krisensymptome wäre es aber verfehlt, Frankreich in eine Reihe mit den Krisenländern Griechenland, Spanien, Italien und Portugal zu stellen. Das wird auch an den Anleihemärkten so gesehen: Die Zinsen, die Frankreich Investoren bieten muss, liegen weit unter denen in Spanien und Italien.

Natürlich darf sich Hollande nicht darauf ausruhen, dass sein Land bisher nicht ins Visier der Märkte geraten ist. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn auch Paris bei der EU und dem Internationalen Währungsfonds um Hilfe rufen müsste: Eine Pleite Frankreichs würde auch das Ende des Euro bedeuten. So gesehen, haben die Hinweise aus der Bundesregierung an Frankreichs Adresse schon ihre Berechtigung.

Hollande muss besser heute als morgen den Arbeitsmarkt reformieren. Auch das französische Rentensystem muss nach der von Nicolas Sarkozy eingeleiteten Reform weiter angepasst werden. Im Schnitt gehen die Franzosen rund zwei Jahre früher in Rente als ihre Kollegen in Deutschland. Auch wenn Frankreich davon profitiert, dass dort mehr Kinder geboren werden als hierzulande, ist eine weitere Rentenreform wohl unausweichlich. Ausgerechnet Hollande wird also nach einem knallharten Anti-Sarkozy-Wahlkampf voraussichtlich den Reformkurs seines Vorgängers fortsetzen müssen.

Wenn Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault an diesem Donnerstag nach Berlin kommt, wird er der Diskussion über die Reformbedürftigkeit des französischen Systems kaum ausweichen können. Aber seine Gesprächspartner sollten nicht den Eindruck erwecken, das Reformtempo in Frankreich diktieren zu wollen. Wer auf Frankreich verbal einschlägt, verliert das Land als Partner in der EU – und dort wird es dringend gebraucht.

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