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Freiwillige Helfer arbeiten in der Ukraine an der Beseitigung von Trümmern, nachdem mehrere Häuser nach einem Angriff auf ein Wohngebiet zerstört wurden.

© Foto: dpa/AP/Uncredited

Konferenz in Berlin: Ein Plan zum Wiederaufbau der Ukraine kann nicht auf Frieden warten

350 Milliarden Dollar wird ein Marshall-Plan für die Ukraine mindestens kosten. Bei einer Konferenz am Dienstag in Berlin sollte es konkret losgehen. Ein Gastbeitrag.

Von
  • Ronja Ganster
  • Thomas Kleine-Brockhoff

| Update:

Auch dieser Krieg wird enden. Und wenn die Waffen schweigen, wird ein Plan für den Frieden gebraucht, ein Plan für das Überleben und die wirtschaftliche Erholung der Ukraine. Im Zweiten Weltkrieg begann die Nachkriegsplanung bereits 1943.

Im Juli trafen sich die Ukraine und ihre internationalen Partner erstmals, um über den Wiederaufbau zu sprechen. Kiew präsentierte einen Plan, die westlichen Geberländer waren noch nicht so weit. Am 25. Oktober laden Bundesregierung und EU-Kommission zu einer Expertenkonferenz nach Berlin ein, um erneut nach Lösungen für den Wiederaufbau der Ukraine zu suchen. Wieder steht nicht zu erwarten, dass die westlichen Länder einen konkreten Plan präsentieren.

Dabei hatte Bundeskanzler Olaf Scholz schon im Juni einen „Marshallplan“ für die Ukraine gefordert. Die Anlehnung an das historische Vorbild ist treffend, denn Dimension und strategische Absicht wären vergleichbar.

Gebraucht wird tatsächlich ein umgekehrter Marshall-Plan: 1947 half eine Nation - die Vereinigten Staaten - vielen; heute wollen viele Nationen einem Land helfen.

Damals gab es fast keine Entwicklungsinstitutionen; sie entstanden erst durch den Marshall-Plan; heute gibt es die zahlreiche internationalen Entwicklungs- und Förderbanken. Deren Koordinierung sowie die Zusammenführung der Interessen der Geberländer ist heute eine der großen Herausforderungen.

Vorläufige Schätzungen beziffern allein die direkten Schäden an der ukrainischen Infrastruktur auf mehr als 115 Milliarden Dollar, die Weltbank schätzte die Wiederaufbaukosten kürzlich auf 350 Milliarden Dollar. Diese gewaltigen Summen erscheinen weniger furchteinflößend, wenn man bedenkt, dass sich Zahlungen auf diverse Jahre verteilen, von vielen Ländern und Institutionen geleistet werden sowie Zuschüsse, Kredite und Garantien umfassen.

Das planerische Grundgerüst sollte möglichst bald stehen und Finanzierung, Lastenteilung, Führung und institutionelle Verankerung, Rechenschaftspflichten und Anti-Korruptionsregeln umfassen. Eine Blaupause dafür hat jüngst der German Marshall Fund vorgelegt.

Ein neo-imperiales Russland bleibt eine Gefahr

Die wichtigste Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung der Ukraine sind Frieden und Sicherheit. Nur dann werden ausländische Privatinvestitionen ins Land strömen. Doch solange Russland ein neo-imperialer Staat bleibt, wird die Ukraine ein Sicherheitsproblem haben - selbst wenn die Waffen vorläufig schweigen.

Deshalb wird das Land auch in Zukunft auf militärische Unterstützung angewiesen sein. Wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen könnten, haben der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und Andriy Yermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamts, jüngst in Form eines „Kyiv Security Compact“ dargelegt.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

© Foto: dpa/Efrem Lukatsky

Weil Sicherheit und Wiederaufbau einander bedingen, müssen sie gemeinsame Aufgabe des Westens sein. Keinesfalls dürfen die Vereinigten Staaten die Militärhilfe übernehmen und den Europäern sowie weiteren Gebern den Wiederaufbau überlassen. Erfahrungsgemäß begänne die gegenseitige Kritik am ersten Tag. Nein, alle Partner müssen vereinbaren, zusammen für Sicherheit und Wiederaufbau verantwortlich zu sein, wenn auch nicht in gleichem Ausmaß.

Es braucht eine Mrs. oder einen Mr. Marshall

Die G7 könnten den institutionellen Anker des Wiederaufbauprojekts bilden. Nur unter dem Dach der Gruppe westlicher Industriestaaten kann jene große, über Europa hinausreichende Wiederaufbau-Allianz gebaut werden kann, die jetzt notwendig ist.

Ein gemeinsamer Wiederaufbau-Koordinator - Mr. oder Mrs. Marshall - kann als Gesicht des Wiederaufbaus öffentliche Unterstützung mobilisieren und Staaten ermahnen, versprochene Gelder auch auszuzahlen. Diese Koordinierungsrolle sollte zunächst ein weltweit bekannter und einflussreicher Amerikaner ausüben. Auch um zu gewährleisten, dass der bisher bei weitem größte Geber, die Vereinigten Staaten, an Bord bleibt.

Seine Taskforce sollte der Koordinator bei der EU-Kommission ansiedeln, um sicherzustellen, dass alle Investitionen im Einklang mit einer europäischen Zukunft der Ukraine geschehen. Auch wenn die Geber Bedingungen für ihre Unterstützung stellen, so verbleibt die Priorisierung der Aufgaben bei der ukrainischen Regierung, der allerdings anzuraten wäre, die eigene Zivilgesellschaft als Motor der demokratischen Entwicklung und als Aufpasser einzubeziehen.

Westliche Regierungen sollten eine „Kriegsversicherung“ anbieten

Die Vereinigten Staaten haben bislang rund 52 Milliarden Dollar an militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe zugesagt, viel mehr als die EU und ihre Mitgliedstaaten mit rund 29 Milliarden Dollar. Doch das wird nicht ausreichen. Vor allem sollte die künftige Hilfe als Zuschüsse gewährt werden, weil so die Schuldentragfähigkeit einer Nation im Kriege gewährleistet bleiben.

Die Vereinigten Staaten tun das bereits überwiegend; die EU vergibt bisher vor allem Kredite. Das muss sich ändern, sodass die EU einen größeren Anteil der finanziellen Verantwortung für ihr künftiges Mitglied übernimmt. Die Diskussion darüber vermeiden die EU-Staaten bisher. Die Berliner Konferenz kann hier Fortschritte erzielen.

52 Milliarden
Dollar an Hilfe haben die Vereinigten Staaten bisher zugesagt

Doch öffentliche Gelder allein werden niemals ausreichen. Die westlichen Regierungen sollten eine „Kriegsversicherung“ anbieten, eine erweiterte und stark subventionierte Version der politischen Risikoversicherung, um Investitionsrisiken für Firmen abzufedern.

Rechtsstaats-Reformen in der Ukraine müssen eine Bedingung sein

Forderungen, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte für den Wiederaufbau zu nutzen, unterschätzen die rechtlichen Hürden sowie die politischen und finanziellen Risiken einer Beschlagnahmung. Das gilt besonders für Gelder der russischen Zentralbank, etwa 300 Milliarden Dollar, die durch Staatenimmunität geschützt sind. Auch sind die Risiken enorm, die dieser Präzedenzfall für das dollar-basierte Welt-Finanzsystem darstellen würde.

Da nicht absehbar ist, ob und wann diese Hürden durch Gesetzgebung in diversen Staaten abgeräumt werden können, könnten die Gelder auch eines Tages Teil einer eventuellen Friedensregelung werden. Oder schon heute als Garantie für weitere Kredite oder über gehebelte Finanzprodukte indirekt zum Wiederaufbau beitragen.

Die Steuerzahler westlicher Länder werden Finanzhilfen auf Dauer ablehnen, wenn sie den Eindruck gewinnen, das Geld werde vergeudet oder für Korruption missbraucht. Deshalb braucht die Ukraine Rechtsstaats-Reformen und ein klares Bekenntnis zu Transparenz im Wiederaufbauprozess. Beides sollte zur Voraussetzung von Wiederaufbau-Zahlungen erklärt werden. Ein unabhängiger Generalinspekteur könnte das Hilfsprogramm überwachen, um Vorwürfe von Fehlverhalten zu untersuchen und Rechenschaftsberichte zu veröffentlichen.

Die Wiederaufbaupläne für die Ukraine können nicht warten, bis der Krieg vorbei ist. Die Berliner Konferenz kann ein wichtiger Meilenstein werden. Amerika und Europa helfen der Ukraine, den Krieg zu gewinnen. Sie sollten nicht zulassen, den Frieden zu verlieren.

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