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Mauerbau in Berlin 1961.

© dpa

Vor 52 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut: Die Wunden der Teilung schmerzen noch

Sie tun noch weh, die Wunden der Teilung. Heute vor 52 Jahren wurden sie gewaltsam gerissen, als der Bau der Berliner Mauer begann. Die Wunden sind unsere Geschichte heute – nicht nur im Unterricht.

Angela Merkel geht heute wieder zur Schule. In Berlin will die Kanzlerin den Kindern der neuen Bundesrepublik in einer Unterrichtsstunde erklären, was Geschichte bedeutet – und was der Mauerbau, der heute vor 52 Jahren diese Stadt und viele Welten trennte, noch mit ihrem und unserem Leben zu tun hat. Es handelt sich um Nachhilfe, die dem ganzen Land nicht schaden würde – allerdings von unten, nicht von oben. Selbst Merkel, die gern als Symbol für die vollzogene innere Einheit hergenommen wird, ist seltsam sprachlos, wenn ihre eigene Vergangenheit in der DDR zur Sprache kommt (oder ungeschickt zur Sprache gebracht wird wie vom SPD-Herausforderer Peer Steinbrück). Auch in dieser Hinsicht ist Merkel ein Abbild der von ihr verwalteten Gesellschaft: Sie lässt das Vergangene einfach vergehen wie Gegenwärtiges. Aber geht das, vergeht das?

Die Risse der betonharten Teilung, die hunderte Leben gekostet und viele Familien bis heute beschädigt hat, sind im Inneren des Landes noch spürbar – im Inneren vieler Menschen. Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall ist das Leiden der Opfer nicht verheilt. Und auch manche Wunde, die die kollektive Rückschau auf die geteilten Vergangenheiten geschlagen hat, vernarbt nicht. Die eilig verarztete Nahtstelle zwischen Ost und West bleibt eine Schorfwunde, die immer wieder zu bluten beginnt, wenn sich aktuelle Debatten in deutsch und deutsch teilen. Gerade in Berlin, wo frühere Grenzlinien noch aus Halbsätzen herauszuhören und an umkämpften Brachen entlang des Mauerverlaufs zu erspüren sind, bleibt Erinnern meist eine getrennte Veranstaltung. Und damit auch Gegenwärtiges.

Dass der neue Osten trotz guter Aufholdaten strukturell zurückliegt, weil viele hier wenig Erspartes haben und weiterhin weniger Geld verdienen, ist vielen Wessis nicht bewusst, die etwa die Abschaffung des – sowieso symbolischen – Solidaritätszuschlags fordern. Und dass die Mauer auch die West-Berliner einschloss (die sich nie Wessis nannten), ist vielen ehemaligen Hauptstadt-der-DDR- Berlinern nicht recht bewusst. Alte Befindlichkeiten? Natürlich. Aber aktuell.

Beispiel NSA-Überwachung: Westdeutschen fällt der Widerstand gegen die Volkszählung ein, Ostdeutsche denken an Parallelen zur Stasi. Doch die Vergleiche verstellen den Blick darauf, dass die DDR-Staatssicherheit eine Waffe der Diktatur war, gerichtet auf die eigenen Bürger. Genau wie die Mauer.

Beispiel Doping: Der Zeigefinger, der immer auf die Medaillen des Sozialismus zeigte, zeigt plötzlich zurück. Die Medien der ostdeutschen Öffentlichkeit, die bei Streitthemen oft noch als eigene Öffentlichkeit funktioniert, transportieren genüsslich das Aufatmen darüber, dass es im alten Westen auch irgendwie schlimm gewesen sein muss. Dass aber in der DDR Minderjährige ohne ihr Wissen von Staats wegen medizinisch getuned wurden, fällt unter den Stammtisch.

Beispiel Wahlkampf: Angela Merkel mag sich beim besten Nachdenken nicht erinnern, was sie einst als jugendliche Mitläuferin getan hat. Ihr Konkurrent spricht ihr aufgrund ihrer Sozialisation die Befähigung zur Europapolitikerin ab – und will es wiedergutmachen, indem er sich an Ostdeutschland als „Region tüchtiger und zupackender Menschen“ heranrobbt. Dass die Politik meint, dies von oben herab betonen zu müssen, zeigt, wie wenig Heilung sie unten vermutet.

Sie tun noch weh, die Wunden der Teilung. Heute vor 52 Jahren wurden sie gewaltsam gerissen. Sie sind unsere Geschichte heute – nicht nur im Unterricht.

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