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Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Ein SPRUCH: Seehofers Imperativ

Vertrauen ist immer noch die stabilste Währung im politischen Geschäft. Warum dürfen es dann keine Verwandten sein?

Die Affäre um bezahlte Verwandte in Abgeordnetenbüros zeigt es, ein Parlamentarier hat nicht mehr nur Vertreter des Volkes zu sein, sondern sein Vorbild. Deutlich wird dies zudem an den Transparenzregeln für ihre Nebenjobs und dem wieder aktuell gewordenen Vorstoß, die Abgeordnetenbestechung schärfer zu bestrafen, wie es der Bundesrat will. Die Repräsentanten sollen es nicht besser haben als jene, die die von ihnen beschlossenen Gesetze befolgen; im Zweifel soll der Maßstab eher strenger sein.

Unter dem Druck der Landtagswahlen überbieten sich die Politiker daher im Tadeln der Vergehen. „Fassungslos“ gibt sich die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, deren FDP sich wacker dagegen sperrt, korrupte Mandatsträger mit der Keule des Strafrechts zu verfolgen. Ministerpräsident Horst Seehofer besteht sogar auf Rückzahlung. So wird der Eindruck vollendet, hier hätten Volksvertreter unter Bruch geltenden Rechts ihren Angehörigen die Taschen gefüllt. Vetternwirtschaft. Selbstbedienung. Bayern.

Nach allem, was bekannt ist, war daran jedoch wenig illegal. Illegal wäre es gewesen, wenn die Beschäftigten Geld kassiert hätten, ohne dafür zu arbeiten. So aber folgten die Abgeordneten den Buchstaben der für sie erlassenen Regeln. Sie suchten ihren Vorteil. Das lässt sie in einem schlechten Licht erscheinen; verboten ist es nicht. „So etwas tut man nicht“, lautet Seehofers kategorischer Imperativ, der freilich einen neuen Maßstab in der Debatte etabliert: Seehofers Gewissen. Laut Grundgesetz aber sind Abgeordnete gerade nicht dem Seehofers, sondern nur ihrem eigenen Gewissen unterworfen.

Das freie Mandat ist es, dem das Gesetz helfen will, indem es den Abgeordneten für „Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit“ Geld gewährt. Da liegt es nahe, Vertraute zu beschäftigen. Vertrauen ist immer noch die stabilste Währung im politischen Geschäft. Warum dürfen es dann keine Verwandten sein? Die Jobregeln für Angehörige sollen die Vergabe öffentlicher Mittel kontrollieren. Ein legitimes Ziel durchaus, nur ist es widersprüchlich, Vertraute dann nicht auch noch auszunehmen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, beschäftigt seine Freundin in seinem Freiburger Wahlkreisbüro – was legal ist und durch kein Gesetz hinreichend bestimmt zu untersagen wäre. Muss sich nun jeder outen, der einen Freund unter Vertrag hat?

Seehofers Imperativ funktioniert nur in dem Moment, in dem er ihn gesagt hat. Weiteres lässt sich daraus nicht ableiten. Oder wollen wir ihn ernst nehmen? Dann müsste etwa im öffentlichen Dienst bei Personalentscheidungen eine persönliche Nähe der Verantwortlichen stets ausgeschlossen sein. Keine Frau dürfte einen höheren Posten in einem Amt bekommen, in dem ihr Mann der Chef ist. Ein Skandal? Bekannte Fälle gäbe es.

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