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Simon McDonald.

© dpa

Gastbeitrag: Eine britische Vision für Europa

Driften Großbritannien und Europa auseinander? Nein, sagt der britische Botschafter, und liefert vier Gründe, warum die Europäische Union, die sich die Briten wünschen, den deutschen Vorstellungen sehr ähnlich ist.

Erneut steht Großbritannien im Rampenlicht, weil eine der drei großen Ratingagenturen am Montag ihre Prognose für unser Land von „stabil“ auf „negativ“ herabgestuft hat. Der britische Finanzminister George Osborne sieht darin aber eher einen Realitätstest, der die Bedeutung des aktuellen Wirtschaftsprogramms der Regierung unterstreiche. Darüber hinaus sind wir in den Schlagzeilen, weil Premierminister David Cameron am 9. Dezember seinen EU-Kollegen mitteilte, er könne der geplanten Änderung der EU- Verträge nicht zustimmen.

Seit diesem EU-Gipfel meinen einige in Deutschland, dass Großbritannien auf Distanz zum übrigen Europa gehe. Heißt das, dass wir auseinanderdriften oder sogar auf eine Scheidung zusteuern? Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich diese Frage verneine.

Großbritannien zählt zu den großen Mächten in Europa. Wir haben ebenso viel zur Philosophie, Kultur und Wissenschaft Europas beigetragen wie jedes andere europäische Land. Wir haben auch außerhalb Europas eine wichtige Rolle gespielt, aber wir sind geografisch, strategisch und geistig fest in Europa verankert. Unsere Vision für Europa ist geprägt von vier zentralen Anliegen, die alle Ebenen staatlichen Handelns und ihr nationales, europäisches und internationales Zusammenwirken betreffen.

Erstens möchten wir, dass unsere nationalen britischen Institutionen weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Sie haben eine ungebrochene Tradition. Unsere Grundrechte basieren auf einem über 800 Jahre alten Dokument – der Magna Charta. Unsere nationalen Institutionen sind nicht perfekt, aber sie haben über Jahrhunderte ihre Fähigkeit zu Wandel und Reform bewiesen. Als es in schwierigen Zeiten darauf ankam, haben sie uns nicht im Stich gelassen. Ihnen wird immer unsere erste Loyalität gelten. Zweitens sprechen wir uns deutlich für das Subsidiaritätsprinzip aus.

Großbritannien braucht Europa. Europa braucht Großbritannien

Danach soll jede Aufgabe von genau der Behörde übernommen werden, die den Bürgern am nächsten ist und die eine effiziente Ausführung gewährleisten kann. Die britische Unzufriedenheit mit Brüssel in den letzten Jahren geht zum Teil darauf zurück, dass Eurokraten sich in zu viele Bereiche unseres Alltags einmischen. Drittens kann ein Staat im Alleingang in einer vernetzten Welt wenig ausrichten. Derzeit sind vier der zehn größten Volkswirtschaften der Welt EU-Staaten, aber wir werden gerade im Eiltempo überholt. Wenn unsere Volkswirtschaften also weiter gedeihen sollen, müssen wir als Kontinent an einem Strang ziehen. Das Gleiche gilt für unsere Sicherheit. Neue Herausforderungen wie Cyberkriminalität, Terrorismus und Klimawandel brauchen eine geschlossene europäische Politik. Und viertens hält die britische Regierung – wie die deutsche – daran fest, dass das transatlantische Bündnis auch künftig unverzichtbar für Europa ist. Die EU hat für Frieden und Wohlstand gesorgt. Aber es waren die USA, die maßgeblich zum Sieg der Demokratie 1945 und 1989 beigetragen haben.

Führt man nun alle diese Punkte zusammen, so ist die Europäische Union, die die Briten sich wünschen, den deutschen Vorstellungen sehr ähnlich: Ein Europa, das seine Zukunft durch Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit sichert. Ein Europa der Freizügigkeit und des freien Handels. Ein Europa, das Verbrechen bekämpft und überall für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eintritt. Ein Europa, das diese Ziele und Werte auch in die Welt hinausträgt. Ein Europa geprägt von Offenheit, Liberalität, Fairness und Respekt für die nationalen Traditionen der Mitgliedstaaten. Da Großbritannien nicht der Eurozone angehört, denken manche, dass Europa auch ohne Großbritannien zurechtkommen kann. Sie vergessen, dass Großbritannien der größte Handelspartner der Eurozone ist. Und die Leute, die uns mangelnde Solidarität vorwerfen, vergessen, dass wir nach Deutschland auch den zweitgrößten Beitrag zum EU-Haushalt zahlen. Wenn es darum geht, unseren Kontinent in der Weltwirtschaft konkurrenzfähig zu halten oder Europas Werte in der Welt zum Tragen zu bringen, dann wird die Bedeutung der Mitgliedschaft Großbritanniens erkennbar. Großbritannien braucht Europa. Europa braucht Großbritannien.

Der Autor ist britischer Botschafter in Berlin.

Simon McDonald

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