zum Hauptinhalt

Gedenkfeier für Opfer der Neonazis: Jeder von uns ist gefordert

Mit einem Staatsakt hat Deutschland an die Opfer von rechtsextremer Gewalt erinnert. Doch für wie lange? Damit die Gedenkfeier keine Momentaufnahme bleibt, ist jeder von uns gefordert.

Von Antje Sirleschtov

Wir vergessen viel zu schnell. Kerzen als Mahnung – sie stehen am Gendarmenmarkt für alle Opfer, die ihr Leben verloren haben, aber auch für die Hoffnung. Für die Opfer in den vergangenen Jahrzehnten, die nicht nur durch die Hand der drei Täter aus Zwickau sterben mussten. Sie mussten sterben, weil ihre Mörder fanden, dass sie hier nicht hergehören; weil sie anders waren; weil ihre Mörder glaubten, sie deshalb vernichten zu können. Und weil ihre Mörder vermutet haben, dass sie ungestraft davonkommen. Aber daneben stand die Hoffnung.

Überall haben an diesem Tag die Räder einen Moment stillgestanden für die Opfer rechter Gewalt, für ihre Kinder, Frauen und Eltern. Deutschland hat um Verzeihung gebeten. „Wir vergessen zu schnell“, hat die Kanzlerin gesagt. Und damit die Dimension des Unfassbaren umrissen: Mitten in diesem Land, unter uns, sterben Menschen aus blindem nationalsozialistischem Fremdenhass, 60 Jahre nach der Schoah. Gut, dass es diese Gedenkfeier und die Schweigeminute gegeben hat. Sie waren ein Zeichen an die Hinterbliebenen des rechten Terrors – Ihr seid nicht allein. Es war ein würdiger, ein angemessener, ein notwendiger Augenblick des Innehaltens.

Aber nur ein Augenblick. „Deutschland, das sind wir alle.“ Angela Merkel hat dies zur Hoffnung für die Betroffenen und uns zur Mahnung gesagt. Hoffnung für die, die auch jetzt noch Angst haben, sich zu ihrer Hautfarbe, Religion oder ihren kulturellen Wurzeln zu bekennen. Sie fürchten Ausgrenzung, Vorverurteilung, ja auch Hass. Nicht nur von marodierenden Glatzkopf-Horden, die sind nur das furchtbare Geschwür. Die Krankheit aber liegt tiefer. In Polizisten, die an Familienfehden denken, wenn türkischstämmigen Bürgern Gewalt angetan wird. In Behörden, die wie lästige Bittsteller behandeln, wer nicht Müller heißt. Aber auch in Eltern, die ihre Kinder nicht in Schulen schicken, in die „Mitgrantenkinder“ gehen. Man weiß ja, wie es da zugeht, man will nur das Beste für das eigene Kind. Man?

Jeder ist am Ende nur ein kleines Rädchen und fühlt sich nicht zuständig. Kollektive Verantwortungslosigkeit nennt man das. Zwölf Kerzen stehen am Gendarmenmarkt auch für die Folgen gesellschaftlicher Lethargie. Nein, Deutschland ist kein fremdenfeindliches Land, dessen Bürger die Lehren aus der Geschichte nicht ziehen wollen. Aber zu viele verstecken sich in persönlicher Ohnmacht und sehen weg. Dabei ist doch Zivilcourage der wirksamste Schutz für das Leben der anderen. Auch aus Worten werden Taten. Diese Morde sind „eine Schande für unser Land“ – es ist wahr, was die Regierungschefin gesagt hat.

Doch wie geht das Land, wie gehen seine Einrichtungen und Politiker damit um? Welche Konsequenzen werden gezogen? Dazu hat Merkel so gut wie nichts gesagt. Von zwei Untersuchungsausschüssen sprach sie, als ob das jahrelange Versagen staatlicher Behörden damit aufzuarbeiten wäre. Kein Verfassungsschützer, kein Polizist, kein Minister hat seinen Hut genommen. Selbst für das widersinnige Nebeneinander von 17 Verfassungsschutzämtern werden schon wieder Gründe gefunden.

Und nicht zu vergessen: Die meisten Todesopfer rechter Gewalt sind bis heute nicht einmal als solche anerkannt. Geschweige denn, dass die demokratischen Parteien ihre Strukturen in den Regionen stärken, wo rechtes Gedankengut tief in die Gesellschaft einzusickern droht. Zwölf Kerzen standen da, eine davon für die Hoffnung. Sie dürfen nicht heute schon vergessen sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false