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LEICHTS Sinn: Jenseits aller Volksparteien

Für die Politik sind Milieu und Ideologie inzwischen unwichtig geworden

Politische Parteien sind im Grunde paradoxe Institutionen. Einerseits vereinigen sie in sich, als Teil (lat.: pars) des Ganzen, Anhänger einer definierten Auffassung. Andererseits wollen sie Wählerstimmen so bündeln, dass möglichst eine Mehrheit dabei herauskommt. Ein ständiger Zielkonflikt: Je ausgeprägter die Partei einer Idee, einem Thema oder einer Interessengruppe verpflichtet ist, desto dichter ihr Zusammenhalt – desto geringer aber ihre Mehrheitschance.

Folglich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder führt man seine Partei als einen lockeren (Kanzler-)Wahlverein, als eine Omnibus-Partei, in der fast jeder mitfahren kann – und setzt sich dabei der Frage aus, was die Partei sonst im Innersten zusammenhält; oder man kämpft geschlossen und ohne innere Konflikte um Stimmen – um dann nach Koalitionspartnern zu suchen, die einem hinterher jene Kompromisse abnötigen, die man innerhalb der eigenen Partei nie schließen wollte. Die Vorstellung von einer „Volkspartei“ war also eigentlich schon immer ein Widerspruch in sich selbst gewesen – denn eine Partei als bloßer Teil konnte im Ernst nicht das ganze Volk vertreten; das ging nur, zwangsweise, in der Diktatur Hitlers oder der der SED, in Letzterer garniert mit ein paar fiependen „Blockflöten“.

Aber auch im begrifflich unscharfen Sinne der westdeutschen Nachkriegszeit wird es Volksparteien nicht mehr geben, denn in einer sich immer mehr ausdifferenzierenden Gesellschaft können verdichtete „Gesinnungsgemeinschaften“ oder Milieuparteien strukturell nur noch Minderheit sein. Parteien, die trotzdem regieren wollen, stehen in einer Weise, die ihr Profil und die Nerven ihrer besonders „treuen“ Anhänger aufreibt, unter massivem Kompromisszwang – entweder vor oder spätestens nach dem Wahlkampf.

Insofern ist es völlig abwegig, wenn die Traditionskompanie der CDU sich einredet, die inzwischen auch bei der CDU/CSU regelmäßig deutlich unter 40 Prozent liegenden Wahlergebnisse seien der undemagogischen Ziel- Unschärfe von Angela Merkel zur Last zu legen; als sie 2005 einen knackig-kantigen Wahlkampf führen wollte, wäre sie damit beinahe untergegangen. Nein, die Kanzlerin trägt in einer Klarsicht, die von ihren Kritikern bei Weitem noch nicht erkannt wird, den Handlungszwängen in einer immer weiter pluralisierten, auch diffuseren Gesellschaft Rechnung. Um es zuzuspitzen: Ihr Verhalten ist nicht das Problem, sondern bereits dessen Lösung; soweit es eine solche geben kann.

Was es aber auch für die Union nicht mehr geben wird, ist eine entschlossene Rückkehr in die gute alte Zeit, in der sich konservativ und christlich aufeinander zu reimen schienen wie anno dunnemals Thron und Altar. Nicht allein, dass das konservative Verständnis von konservativ in einer komplexer sich wandelnden Gesellschaft nur in eine immer enger werdende Nische führen kann. Es kommt hinzu, dass ein dezidiert christliches Nachdenken über die Politik (und das kann auch ganz anders ausfallen als die Sendschreiben des Papstes zu Rom) zu allem anderen führen muss als zu einer braven Bejahung des Status quo. Ganz abgesehen davon, dass Erhard Eppler mit seiner Unterscheidung zwischen wert- und strukturkonservativ schon in den 70er Jahren darauf aufmerksam gemacht hat: Wer Wichtiges bewahren will, muss vieles ändern – vor allem sich selber und seine Gewohnheiten.

Wenn es aber für politische Parteien keine in Stein gehauene Gewissheiten mehr geben kann, dann wird ein Doppeltes immer wichtiger: die persönliche Überzeugungskraft und der disziplinierte Zusammenhalt ihrer Führungsleute. Deren Ausstrahlung und Vertrauenswürdigkeit muss überbrücken, was Milieu und Ideologie an Zusammenhalt nicht mehr bieten können.

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