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Militärbündnis: Die Nato im Multi-Spagat

Die neue Nato-Welt zwischen Afghanistan, Heimatschutz und Partnerschaft mit Russland. Gerade in diesen Zeiten kann man nicht aus sie verzichten.

Der Tod ist zum ständigen Begleiter geworden. Es waren noch keine 24 Stunden seit der Vorstellung des neuen Nato-Konzepts in Brüssel vergangen, da demonstrierte ein Selbstmordanschlag in Kabul erneut, wie brutal sich die Wirklichkeit seit der Präsentation des Vorgängerpapiers 1999 geändert hat.

Vor elf Jahren feierte die Allianz ihr Überleben. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte ihr das Morden auf dem Balkan eine neue Existenzberechtigung gegeben: Friedenseinsätze zum „Nation Building“ und die Formel „Out of area or out of business“. Der Schießkrieg war die Ausnahme, und wenn Soldaten ums Leben kamen, dann eher bei Verkehrsunfällen als im Gefecht. In Afghanistan hat die Allianz inzwischen nahezu 1800 Tote zu beklagen. Mehr als 200 starben bereits 2010, weit mehr als die 119 im Vergleichszeitraum 2009. Der Frieden am Hindukusch scheint nicht näher zu rücken.

Das neue strategische Konzept zeigt das Bündnis im mehrfachen Spagat zwischen konkurrierenden Zielen, unterschiedlichen Prioritäten der Mitglieder, aber auch gegenläufigen Wahrnehmungen der Regierungen und ihrer Bürger. Die explosivste Auseinandersetzung betrifft die Zukunft solcher Auslandseinsätze wie in Afghanistan. Die USA definieren den Operationsradius der Allianz weltweit und nicht mehr nur in der Nachbarschaft des Bündnisgebiets. Die Verteidigung der eigenen Grenzen beginne heute weit jenseits dieser Grenzen, sagt Generalsekretär Fogh Rasmussen, ein Däne. Viele Europäer sehen in Afghanistan eher die Ausnahme als die Regel. In den Bevölkerungen ist diese Art der Vorneverteidigung unpopulär – überall, auch in Amerika.

Bemerkenswert ist: Die neuen Mitglieder in Ostmitteleuropa stützen nicht etwa die globalen Strategiewünsche der USA, sondern geben der Verteidigung des Bündnisgebiets Priorität. Es geht auch um Eigennutz. Sie wollen ihre Streitkräfte mit Nato-Hilfe modernisieren und am liebsten US-Einheiten bei sich stationiert sehen.

Die militärische und finanzielle Dominanz der USA ist seit 1999 gewachsen. Ihr Verteidigungsbudget beträgt nun 710 Milliarden Dollar, zweieinhalbmal so viel wie die Etats aller europäischen Partner zusammen (280 Milliarden Dollar). Was die einen zu viel tun, tun die anderen zu wenig. Deutschland und andere Europäer sind seit Jahren vertragsbrüchig. Weder in guten noch in schlechten Zeiten investieren sie die zugesagten zwei Prozent des BIP in die Verteidigung.

An der Entspannungspolitik aus einer Position der Stärke hält die Nato fest. Die Raketenabwehr wird trotz russischen Drängens nicht begraben. Die Allianz lädt Moskau ein, sich zu beteiligen. Auch der Streit um US-Atomwaffen in Europa endet im Kompromiss. Ja zur Abrüstung, aber solange es solche Waffen gibt, behält das Bündnis ein Minimum zur Abschreckung.

Das neue Konzept benennt diese Widersprüche offen. Die Nato habe mehr zu tun als je zuvor; aber ihr Wert sei für viele nicht mehr so offenkundig. Nur, wer will auf den Bündnisschutz verzichten, gerade in so undurchsichtigen Zeiten?

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