zum Hauptinhalt
Getreide wird im Hafen von Odessa auf ein Schiff verladen (Archivbild).

© REUTERS/Vincent Mundy

Hunger als Waffe: Putin ist auch auf diesem Schlachtfeld in der Defensive

Je schlechter es für Russland im Krieg gegen die Ukraine läuft, desto mehr setzt Putin auf andere Druckmittel. Eines davon ist der Getreideexport. Das ist zynisch und brutal.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Russland führt einen Krieg, der auf zwei Schlachtfeldern ausgetragen wird. Das eine Schlachtfeld liegt im Osten der Ukraine. Dort wird gekämpft, geschossen, gestorben. Das ist im engeren Sinne die Front. Das andere Schlachtfeld hat keinen bestimmten Ort, ist aber nicht weniger wichtig als das erste. Dort wird gedroht, manipuliert, Angst geschürt.

Je erfolgreicher Wladimir Putins Truppen auf dem ersten Schlachtfeld in die Enge getrieben werden, desto intensiver setzt er seine Kräfte auf dem zweiten Schlachtfeld ein. Dabei verfügt er über drei Druckmittel: erstens die Energieversorgung, zweitens die Haltung der internationalen Gemeinschaft, drittens den Getreideexport.

Seine ersten beiden Karten hat der russische Präsident ausgereizt. Vielen Ländern Europas steht zwar ein harter Winter bevor, aber insgesamt ist die Gemeinschaft auf gutem Wege, sich von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen. Hinzu kommt, dass der Rückhalt Moskaus auf internationaler Ebene bröckelt. China und Indien halten sich mit Solidaritätsbekundungen auffallend zurück. Waffen werden keine geliefert. Dass das klerikalfaschistische Regime in Teheran sich Russland anbiedert, ist eine Koalition aus Lahmenden und Humpelnden.

Die Folgen einer Blockade wären für Millionen Menschen verheerend

Bleibt als Drittes der Hunger als Waffe. Das im Juli geschlossene Abkommen zum Export von Getreide und Düngemittel aus Russland und der Ukraine über das Schwarze Meer hat Putin jetzt ausgesetzt. Er weiß, dass die Folgen einer Blockade für Millionen Menschen in Afrika, dem Nahen Osten und Südasien verheerend wären. Er nimmt die Ärmsten der Armen als Geisel, um den Westen an den Verhandlungstisch zurück zu zwingen. Das ist zynisch und brutal.

Das Abkommen war durch Vermittlung von UN-Generalsekretär António Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zustande gekommen. Es war – abgesehen vom Gefangenenaustausch – der bislang einzige diplomatische Erfolg seit Beginn des Krieges. Mehr als 9 Millionen Tonnen Getreide waren seit Juli verschifft worden. Zuvor hatten russische Blockaden und ukrainische Verminung von Schwarzmeerhäfen die Furcht vor einer schweren globalen Hungerkrise ausgelöst.

Was tun? Die unmittelbare Reaktion der Vereinten Nationen, der Türkei und der Ukraine ist bemerkenswert. Trotz der russischen Aussetzung des Abkommens sollen weiter Schiffe mit Getreidelieferungen durch den Korridor von Schwarzmeerhäfen in Richtung Istanbul fahren. Guterres wiederum will erneut mit Moskau reden.

Was will Putin? Bessere Konditionen für eigene Getreideexporte?

Handeln und verhandeln: In dieser Doppelung liegt nach wie vor die beste Strategie im Umgang des Westens mit Russland. Er muss eigene Interessen ohne Abstriche verfolgen, ohne dem Aggressor die Ausrede zu ermöglichen, das Gegenüber sei gar nicht an Gesprächen interessiert. Wer die Diplomatie grundsätzlich verdammt, verringert Handlungsoptionen.

Was will Putin? Bessere Konditionen für eigene Getreideexporte? Effektiveren Schutz seiner Schwarzmeerflotte? Oder will er weiter rein destruktiv agieren, so dass alles Reden mit ihm ins Leere läuft?

Das zu eruieren, ist die Aufgabe von Guterres. Während dessen müssen Schiffe beladen und ausgefahren werden – als sei das Abkommen intakt.

Was tun? Die internationale Gemeinschaft hat ihre Antwort gegeben. Nun ist Putin wieder am Zug. Soll er nachgeben oder eskalieren? Gibt er nach, wirkt er schwach. Eskaliert er, verprellt er mit seinem erbarmungslosen Kurs viele weitere Menschen weltweit. Wie es aussieht, ist er auch auf dem zweiten Schlachtfeld in die Defensive geraten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false